Gastkommentar von Johannes Huber. Der FPÖ-Chef lässt die Volkspartei büßen, ihn vor fünf Jahren aus der Regierung geworfen zu haben. Jetzt kann sie ihn zum Märtyrer machen oder doch noch als „Volkskanzler“ akzeptieren. Eine Demütigung sondergleichen.
ÖVP-Chef Karl Nehammer ist wohl der eigenen Erzählung auf den Leim gegangen, wonach es im Hinblick auf die Nationalratswahl ein Kopf-an-Kopf-Rennen gebe. Es sei gute Tradition, dass der Erste den Regierungsbildungsauftrag erhalte, hat er vor wenigen Tagen jedenfalls gesagt. Im Glauben offenbar, dass er zum Zug kommen werde. Am Wahltag war bald klar, dass nicht die Volkspartei, sondern die FPÖ von Herbert Kickl vorne ist. Und das auch noch sehr klar.
Natürlich: Sofern Bundespräsident Alexander Van der Bellen jetzt Kickl den Auftrag erteilt, eine Regierung zu bilden, bedeutet das noch nicht, dass er eine solche zusammenbringt. Andererseits wird es für die Türkisen um Nehammer schwer, in den kommenden Wochen bei ihrer Absage an ein Bündnis mit Kickl zu bleiben und Blau-Türkis damit unmöglich zu machen. Genauer: Sie haben die Qual der Wahl, Kickl zum Märtyrer zu machen oder doch noch als sogenannter „Volkskanzler“ zu akzeptieren.
Daran sind sie selbst schuld. Sie haben Herbert Kickl in eine Win-Win-Situation gebracht, es ist ein Triumph sondergleichen für ihn. Infolge der Ibiza-Affäre hat Sebastian Kurz (ÖVP) im Mai 2019 nicht nur die türkis-blaue Koalition auf- und de facto Neuwahlen angekündigt. Nein, zwei Tage später schlug er Bundespräsident Alexander Van der Bellen darüber hinaus die Entlassung von Kickl als Innenminister vor. Dieser stehe einer lückenlosen Aufklärung im Weg, so die Begründung. Van der Bellen nahm an, Kickl musste gehen.
Das hat der heute 55-Jährige nie vergessen. Im Gegenteil, er schöpfte unendlich viel Kraft daraus, es den Türkisen eines Tages heimzuzahlen. Jetzt hat er es geschafft: In der Pandemie sorgte auch Kurz’sche Politik für sehr viel Unmut in Teilen der Bevölkerung bzw. für ein Erstarken von Kickl und der FPÖ. Besser für sie: Kurz stolperte schließlich über diverse Korruptionsaffären und die ÖVP in eine Krise, von der sie sich bis heute nicht erholen wollte (ja, „wollte“, weil sie keine umfassende Neuaufstellung vornahm).
Kickl hat an diesem 29. September 2024 groß gewonnen. Das war jedoch erst die erste Demütigung der Volkspartei. Eine weitere wird folgen: Inhaltlich will sie zumindest in der Asyl-, in der Klima- und in der Wirtschaftspolitik sehr ähnliches wie er. Das sind relevante Themen für sie. Umgekehrt liegen hier Welten zwischen ihr und der Sozialdemokratie.
Da muss sie von der Papierform her als Juniorpartnerin in eine Regierung des sogenannten „Volkskanzlers“ Kickl gehen. Oder sie sagt weiterhin „Nein“ zu ihm und begründet das mit Dingen wie dessen Absage an „Sky Shield“, die europäische Raketenabwehr, an der sich Österreich beteiligt. Problem für sie: Nachdem sie sich bisher nicht weiter darum bemüht hat, bei den Leuten groß Überzeugungsarbeit zu leisten dafür, würd ihr das eher schaden.
Genauso wie eine Warnung vor einer Zerstörung der Demokratie durch einen sogenannten „Volkskanzler“: Sie hat unter Kurz begonnen, sich eine Wählerschaft zu bilden, die mit einem solchen wohl kein größeres Problem hätte. Und sie hat nach Kurz eben nie eine Korrektur vorgenommen. Das rächt sich jetzt zur Genugtuung Kickls: Wenn sie sich auf Türkis-Rot-Pink einlässt und so verhindert, dass er ans Ruder kommt, kann er sich als Märtyrer inszenieren, der bei der nächsten Wahl noch stärker wird.
Johannes Huber betreibt den Blog – Analysen und Hintergründe zur Politik