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Schilling kann noch gewinnen

24-05-2024, 07:36

Gastkommentar von Johannes Huber. Für die Grünen-Kandidatin ist bei der EU-Wahl nicht alles verloren. Im Gegenteil, sie kann mehr denn je mit einem Solidarisierungseffekt zu ihren Gunsten rechnen.

Wenn Lena Schilling für eine größere Partei in die EU-Wahl ziehen würde, wären die Umfragewerte eine Katastrophe: Das Meinungsforschungsinstitut OGM hat für den Vertrauensindex, den es gemeinsam mit der Austria Presse-Agentur APA führt, erhoben, dass ihr ganze 64 Prozent misstrauen und gerade einmal 14 Prozent vertrauen. Für eine Partei, die selbst auf 20, 30 Prozent kommen möchte, wäre sie damit eine Belastung. Für die Grünen ist es nicht unbedingt. Diese halten weniger als 14 Prozent.

Das Beispiel dient dazu, aufzuzeigen, dass man vorsichtig sein sollte mit Prognosen. Für die Grünen und Lena Schilling ist im Hinblick auf die Europawahl am 9. Juni nicht alles verloren. Genauer: Es ist nicht sicher, dass sie abstürzen werden. Trotz des katastrophalen Umgangs der Partei mit den Vorwürfen gegen Schilling. Stichwort „Gefurze“, von dem ihr Bundessprecher Werner Kogler gesprochen hat, Stichwort „Silberstein-Methoden“, die Generalsekretärin Olga Voglauer in den Raum gestellt hat.

Was ausgesprochen türkis war: Tal Silberstein war einst Berater der SPÖ. Sebastian Kurz hat sich 2017 über seine Methoden empört. Jetzt hat Voglauer unterstellt, dass die SPÖ in seinem Geiste gegen Schilling kampagnisiere. Das war so haarsträubend, dass sie es umgehend zurücknehmen und sich dafür entschuldigen musste.

Doch zurück zur These, dass die Wahl noch nicht gelaufen ist. Es gibt zwei, drei Umstände, die Schilling und die Grünen nach wie vor hoffen lassen können: Es ist bei weitem nicht für alle klar, dass die 23-Jährige so großen Mist gebaut hat, dass sie sich politisch disqualifiziert hat. Zuletzt haben die Tageszeitung „Der Standard“ und das Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“ über bisher unbekannte Chats berichtet. In einem solchen habe sie festgestellt, dass sie ihr Leben lang niemand so sehr gehasst habe wie die Grünen.

Die Wiener Stadtzeitung „Falter“ relativiert diese Darstellung: Es habe sich um eine Konversation unter damaligen Freundinnen gehandelt. Wenn daraus der Satz mit dem Hass übrigbleibe, werde die Geschichte entstellt: „Im Kontext gelesen ist es ein vertrauter Austausch unter Aktivistinnen. Und um das Wort „hassen” in diesem Zusammenhang einordnen zu können, muss man auch die Geschichte der Proteste gegen die Wiener Stadtstraße kennen: Dabei stand Schilling in der ersten Reihe, die Grünen konnten sich nicht dazu durchringen, die Besetzung der Baustelle voll zu unterstützen – und waren dementsprechend unbeliebt bei den Aktivistinnen und Aktivisten.“

Alles halb so schlimm in Bezug auf Schilling? Der Punkt ist: Die Deutung einzelner Vorwürfe ist umstritten. Das sind beste Voraussetzungen dafür, dass grün-affine Wählerinnen und Wähler zum Beispiel nach „Falter“-Lektüre zum Schluss kommen, dass der Kandidatin übel mitgespielt werde. Das es jetzt erst recht wichtig sei, sie zu unterstützen.

Umso mehr, als die Listen der übrigen Parteien von älteren Männern dominiert werden; und als außer Schilling keine wahrnehmbaren Klimaschutz-Vertreter antreten: Das ergibt in Summe sogar mehrere Motive, ihr eine Stimme zu geben.

Klar: Für eine überschaubare Klientel. Aber die Klientel der Grünen ist überschaubar. Und sie umfasst natürlich nicht Menschen, die zum Beispiel zur FPÖ tendieren. Alles in allem könnte es jedoch dafür ausreichen, dass man sich am Wahlabend wundern wird.

Johannes Huber betreibt den Blog – Analysen und Hintergründe zur Politik

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