GASTKOMMENTAR VON JOHANNES HUBER. … oder warum es Ausdruck einer Krise von Werner Kogler und Co. ist, bei der EU-Wahl auf die Klimaaktivistin zu setzen.
Bei Umfragen zu einer Nationalratswahl werden den Grünen derzeit rund zehn Prozent ausgewiesen. Das war auch ein halbes Jahr vor dem Urnengang 2017 der Fall, bei dem sie dann allerdings weniger als vier Prozent erreichten und aus dem Hohen Haus flogen. Sie sind also gewarnt. Zumal sich Geschichte wiederholen kann.
Vizekanzler Werner Kogler und Co. verschaffen sich bei ihren Anhängern nicht nur Respekt mit ihrer Regierungsarbeit, sondern enttäuschen auch sehr viele. Zum Beispiel jene, die sich erwartet hätten, dass sie die ÖVP von ihrem harten Asylkurs abbringen und etwa Abschiebungen verhindern. Natürlich: Das ist viel verlangt, ändert aber nichts daran, dass enttäuschte Anhänger zum Teil auch verlorene Anhänger sind.
Und überhaupt: Klimapolitik, auf die die Grünen mehr denn je fokussiert sind, wird aus Sicht einer Masse, für die sie theoretisch wählbar sind, durch andere Themen überlagert. Teuerung, Krieg, Unsicherheit. Oder – ja, noch immer - die Impfpflicht, die sie einst mitgetragen haben. Oder der sich abzeichnende Rechtsruck in Österreich und vielen anderen Staaten.
Diesbezüglich haben die Grünen wenig zu bieten. Kogler mag die Lücke sehen und auch versuchen, sie zu schließen, indem er etwa eine Allianz zur Verhinderung eines Volkskanzlers Herbert Kickl (FPÖ) fordert. Groß sind die Erwartungen, die in ihn gesetzt werden, aber nicht mehr. Im Gegenteil, laut APA/OGM-Erhebung überwiegt das Misstrauen, das ihm aus der Wählerschaft entgegengebracht wird, mit 55 Prozent bei weitem.
Das ist auch der Grund dafür, dass Dominik Wlazny besonders den Grünen gefährlich werden könnte. Bei der Bundespräsidenten-Wahl hat er schon 100.000 Wähler, die sie bei der Nationalratswahl 2019 unterstützt hatten, dazu gebracht, ihre Stimme nicht ihrem Ex-Chef Alexander Van der Bellen, sondern ihm zu geben. Und laut einer „Heute“-Umfrage vom Herbst würde er sie bei einer Gemeinderatswahl in Wien mit zwölf Prozent klar überholen. Sie selbst müssten sich mit gerade einmal acht Prozent begnügen. Bezeichnender: Bei einer Bürgermeister-Direktwahl würde Wlazny auf zwölf Prozent kommen, ihre Sprecherin Judith Pühringer im Gegensatz dazu auf gerade einmal ein Prozent.
Insofern stehen die Wiener Grünen vielleicht sogar noch mehr für den Zustand der Partei als die Bundes-Grünen: Sie fallen kaum jemandem auf, besetzen keine wesentlichen Themen mehr wirkungsvoll, laufen Gefahr, in der Bedeutungslosigkeit zu versinken.
Vor diesem Hintergrund ist es schon auch Ausdruck einer Not, dass Kogler nun die Klimaaktivistin Lena Schilling als Spitzenkandidatin in die EU-Wahl am 9. Juni schicken möchte. Ihr Potenzial könnte erheblich sein. Sie ist glaubwürdig in ihrem Anliegen, kann reden und ist bisher keine Berufspolitikerin. Wie Wlazny. Beim Image dieser Gruppe ist allein das schon furchtbar viel wert.
In Wirklichkeit aber müssen die Grünen Schilling vorschieben, weil sie selbst niemanden mehr zu bieten haben, mit dem sie sich bei dieser Wahl behaupten könnten. Sie können nur hoffen, ein bisschen etwas von ihrer Strahlkraft in der Klimabewegung abzukommen. Besser wird ihr eigener Zustand dadurch jedoch nicht.
Johannes Huber betreibt den Blog – Analysen und Hintergründe zur Politik