Einer Studie zufolge werden Klimawandel und Zuwanderung die stärksten Mobilisierungsthemen für die EU-Wahl sein.
Die Politikwissenschafter Ivan Krastev und Mark Leonard machten in ihrem Mittwoch veröffentlichten Bericht für den European Council on Foreign Relations fünf Krisen aus, die unterschiedliche Wählergruppen ("Krisenstämme") dominieren. Prägend seien auch Ängste vor einer Wirtschaftskrise und die , Russlands Krieg gegen die Ukraine verliert an Aufmerksamkeit.
"Bei den Wahlen zum Europaparlament 2019 bestand der zentrale Machtkampf zwischen Populisten, die der europäischen Integration den Rücken kehren wollten, und Mainstream-Parteien, die das europäische Projekt vor Brexit und Trump retten wollten", so Leonhard. "Doch diesmal wird es ein Wettstreit zwischen miteinander konkurrierenden Ängsten vor steigenden Temperaturen, Zuwanderung, Inflation und militärischen Konflikten." Die Bürger würden sich dabei zunehmen von der EU-Politik und von ideologischen Rechts-Links-Bindungen lösen und nunmehr stärker von ihrer Haltung gegenüber Krisen leiten lassen, ergänzte Krastev.
Österreich in Studie nicht extra berücksichtigt
Die Studie stützt sich auf Umfragedaten der Institute YouGov und Norstat von September und Oktober aus Deutschland, Frankreich, Polen, Italien, Spanien, Dänemark, Rumänien, Portugal und Estland und aus zwei europäischen Ländern außerhalb der EU, Großbritannien und der Schweiz. Österreich ist in der Studie nicht extra berücksichtigt.
Den Klimawandel nannte eine einfache Mehrheit der Befragten in Frankreich (27 Prozent) und Dänemark (29 Prozent neben Ukraine) sowie in der Schweiz (22 Prozent) als Krise mit dem größten Veränderungspotenzial. In Großbritannien (22 Prozent), Italien (21 Prozent), Deutschland (20 Prozent) und Spanien (19 Prozent) steht dieses Thema an zweiter Stelle. Die Zuwanderung ist in Deutschland (31 Prozent) das dominierende Thema, in der Schweiz (19 Prozent) das zweitwichtigste.
Die Politologen gehen davon aus, dass es im Wahlkampf heuer zu einem Aufeinandertreffen zweier "Extinction Rebellions" kommen wird, wobei der erste "Stamm" das Aussterben menschlichen Lebens befürchtet, der zweite das Verschwinden seiner Nation und kulturellen Identität. Als Beleg dafür verweisen Krastev und Leonard auf die jüngsten Wahlen in den Niederlanden, wo Zuwanderung und Klima dominierten.
Klimawandel bei Jungen vorne
Für junge Menschen stehe der Klimawandel ganz oben auf der Prioritätenliste. Eine einfache Mehrheit (24 Prozent) der 18- bis 29-Jährigen sieht laut Studie den Klimawandel als wichtigstes Einzelproblem an - vor den weltweiten wirtschaftlichen Umwälzungen (22 Prozent), der Corona-Pandemie (19 Prozent) und Russlands Krieg in der Ukraine (12 Prozent). Unter den 18- bis 29-Jährigen gaben nur neun Prozent die Migration als wichtigstes Thema an. Auch für Personen mit höherem Bildungsniveau ist das Klima in allen elf untersuchten Ländern ein zentrales Thema (22 Prozent).
Anhänger rechtsgerichteter und rechtsextremer Parteien sehen laut Studie in der Zuwanderung das wichtigste Thema. Die Mitglieder des "Migrations-Stamms" sind außerdem eher euroskeptisch: Sie sind die einzige Gruppe, die mehrheitlich (51 Prozent) erwartet, dass die EU in den nächsten 20 Jahren zerfällt. Die Erhebung zeigt darüber hinaus, dass das Thema Zuwanderung für die älteren Menschen in Europa von größerer Bedeutung ist. In Ländern, in denen die politische Rechte an der Macht ist, ist Zuwanderung weniger präsent als politisches Thema. In Italien sehen dies demnach nur zehn Prozent als zentrales Thema an.
Krieg verlor Aufmerksamkeit
Der Krieg Russlands in der Ukraine ist laut der Studie als politisches Thema aus dem Zentrum der Aufmerksamkeit gerutscht und spielt derzeit vor allem für die Menschen in Osteuropa eine Rolle. Die Befragten in Estland, Polen und Dänemark sehen den Krieg in der Ukraine am ehesten als die wichtigste Krise an. Dies steht in deutlichem Gegensatz zu den Stimmungen in Spanien, Frankreich, Italien und Großbritannien, wo nur kleine Minderheiten den Krieg als Thema mit dem größten Einfluss nennen. In Italien und Portugal gab eine Mehrheit (jeweils 34 Prozent) an, dass die "globale wirtschaftliche Krisenlage" das Thema sei, das ihren Blick auf die Zukunft am stärksten beeinflusste. Auch in Estland, Rumänien und Spanien ist dieses Thema sehr präsent.