Die Rede zum Jahrestag des Kriegsbeginns gegen die Ukraine von Kremlchef Wladimir Putin war durchzogen mit Vorwürfen gegen den Westen.
Die USA und die NATO-Staaten selbst seien schuld an dem Krieg, behauptet der 70-Jährige am Dienstag in dem fast zweistündigen Auftritt in Moskau. Sie hätten es auf eine "strategische Niederlage" Russlands abgesehen mit dem Ziel, das Land zu zerstören.
Russlands Präsident Putin sprach bei Rede von Atomwaffen
Als eine Konsequenz der wachsenden Konfrontation verkündet Putin letztlich eine Aussetzung des letzten atomaren Abrüstungsabkommens mit den USA. Damit gibt der Kremlchef auch US-Präsident Joe Biden eine Steilvorlage, der in Warschau bei einer Art Fernduell auf die Tirade aus Moskau eingehen dürfte. Putins Ankündigung, das Abkommen über die atomare Rüstungskontrolle auszusetzen, sei zutiefst "unglücklich und unverantwortlich", sagt Biden schon kurz vor seiner Rede in der polnischen Hauptstadt, wo er nach einem Blitzbesuch in Kiew eintraf.
US-Präsident besuchte am Montag die Ukraine zum Ärger der Russen
Zum Ärger der Russen hatte der US-Präsident am Montag erstmals seit Kriegsausbruch das Land besucht, um den Ukrainern
seine Solidarität selbst zu bekunden. Wohl auch deshalb reagiert das
politische Kiew am Dienstag besonders selbstbewusst und gelassen auf
Putins Rede an die Nation, die auch Beobachter in Moskau eher als einen
kalten Aufguss aus früheren Reden bezeichneten. Er sagt nichts Neues,
aber das Alte mit schärferen Worten.
UKRAINE-CRISIS/NUCLEAR-PUTIN
© Dmitry ASTAKHOV / SPUTNIK / AFP
Putin sei in einer Sackgasse und wittere eien Weltverschwörung
Putin sei in einer Sackgasse,
habe keine Lösungen mehr und wittere eine Weltverschwörung gegen
Russland, heißt es in Kiew. Die auch von der Ukraine
seit Monaten befürchtete und von Hardlinern in Moskau geforderte zweite
russische Mobilmachungswelle bleibt jedenfalls vorerst weiter aus.
Stattdessen dreht sich Putin vor dem Jahrestag des Krieges, der am 24.
Februar begonnen hatte, vor allem auch darum, die schweren sozialen
Folgen des Krieges in Russland abzufedern. Familien von getöteten
Soldaten etwa sollen mehr Hilfe bekommen.
Putin: Russland selbst werden Atomwaffentests durchziehen
Einzig konkretes neues
Ergebnis, mit dem sich der Westen unabhängig von dem Krieg nun weiter
auseinandersetzen muss, sind die Folgen eines möglichen Endes des
letzten noch bestehenden atomaren Abrüstungsvertrags. Putin sagt in
seiner Rede auch, dass Russland selbst Atomwaffentests durchziehen
werde, sollten dies die USA tun.
Immer wieder bekommt der
Kremlchef für seine zutiefst antiwestliche Rede Applaus; mehrfach
erheben sich die Hunderten Gäste im Gostiny Dwor in Kremlnähe von ihren
Sitzen für Ovationen. "Es sind sie (im Westen), die den Geist aus der
Flasche gelassen und ganze Regionen ins Chaos gestürzt haben", sagt
Putin mit Blick auf die Ukraine, aber auch auf andere Konflikte in der Welt.
Nur noch wenige Kontakte zwischen Russland und den USA
Sollte
der "New Start"-Vertrag nun enden, wäre damit einer der noch
verbliebenen wenigen Kontakte zwischen Russland und den USA zerstört.
Die Aussetzung von "New Start" begründet Putin vor allem damit, dass
etwa Frankreich und Großbritannien ihre Atomwaffenarsenale weiter
entwickelten und die Nuklearpotenziale gegen Russland ausrichten würden.
Putin wertet auch Äußerungen der NATO zu "New Start" als Einmischung
und Grund, den Vertrag zu überdenken.
"New Start" ist einziges noch verbliebenes Abkommen
Der Abrüstungsvertrag "New
Start" ist das einzige noch verbliebene große Abkommen zur
Rüstungskontrolle zwischen den USA und Russland. Der Vertrag begrenzt
die Atomwaffenarsenale beider Länder auf je 800 Trägersysteme und je
1.550 einsatzbereite Sprengköpfe. Zudem ist geregelt, dass Washington
und Moskau Informationen über ihre strategischen Atomwaffenarsenale
austauschen und bis zu 18 Verifikationsbesuche pro Jahr abhalten dürfen.
Schon
während Putins Auftritt bereitet sich am Dienstag das etwa 1.200
Kilometer von Moskau entfernten Warschau auf eine andere Ansprache vor.
US-Präsident Biden ist in der Stadt, um am Warschauer Königsschloss zum
ersten Jahrestag des Kriegsbeginns in der Ukraine
zu sprechen. Der Eindruck eines Fernduells drängt sich auf, auch wenn
das Weiße Haus zurückweist, eine solche Choreographie im Sinn gehabt zu
haben.
Zeitpunkt der Rede wegen Jahrestags des Kriegsbeginns
Der Zeitpunkt der Rede sei nicht wegen Putins Auftritt
gewählt worden, sondern wegen des nahenden Jahrestags des Kriegsbeginns,
sagt Bidens Nationaler Sicherheitsberater, Jake Sullivan. "Dies ist
kein rhetorischer Wettstreit mit irgendjemand anderem." Dem
US-Präsidenten gehe es bei der Ansprache um viel Größeres - um die
Stärke und Widerstandskraft der Demokratie ein Jahr nach dem Beginn von
Putins Krieg.
Biden hatten für seinen Auftritt in der ukraine besonderen Ort gewählt
Biden hat einen besonderen Ort für seinen Auftritt
gewählt. Das Warschauer Königsschloss gilt als Symbol der im Zweiten
Weltkrieg einst von Nazi-Deutschland größtenteils zerstörten und später
wiederaufgebauten Stadt. Demokratie gegen Autokratie, Widerstand und
Wiederaufbau - all das schwingt hier mit.
Schon Ende März 2022
hielt Biden genau dort eine Rede, im Innenhof des Schlosses. Damals,
einen Monat nach Kriegsbeginn, sagte Biden der Ukraine
Unterstützung zu und griff Putin scharf an. Besonders ein Satz über
Putin hallte lange nach: "Um Gottes willen, dieser Mann kann nicht an
der Macht bleiben", sagte Biden damals ganz zum Schluss seiner Rede
plötzlich. Das Weiße Haus stellte später klar, der Präsident habe damit
nicht zum Sturz Putins aufrufen wollen.
Putin macht in Moskau klar, dass er nicht weichen werde
In Moskau jedenfalls macht
Putin am Dienstag auch klar, dass er nicht weichen werde - und sich auf
einen langen Krieg einstellt. Und er kündigt an, dass die
Präsidentenwahl im nächsten Jahr wie geplant abgehalten werde. Niemand
in Moskau hat Zweifel, dass Putin antritt. Sein Thema setzt er auch: der
Kampf gegen eine Vorherrschaft des Westens in der internationalen
Politik, der allen Ländern "autoritär" seine liberale Werte aufzwingen
und Russland zerstören wolle.