Gastkommentar von Johannes Huber. Bundeskanzler Karl Nehammer will auf Impfgegner zugehen. Das ist gut, vorerst jedoch unglaubwürdig.
„Kanzler wirbt um Impfgegner“, lautete die Schlagzeile der
„Kronen Zeitung“ am Donnerstag dieser Woche: Der „Versöhnungsprozess“, den er
ausgerufen habe, diene dazu, Wähler von den Freiheitlichen zurückzuholen. Das
ist eine böse Unterstellung: Karl Nehammer hatte sich tags zuvor staatstragend
gegeben. Er sprach davon, dass die Pandemie ein traumatisches Erlebnis gewesen
sei, dass sie tiefe Gräben hinterlassen habe und es daher wichtig sei, sie zu
überwinden. Daher soll es einen Versöhnungsprozess geben.
Das ist gut, vorerst aber leider unglaubwürdig. Insofern ist
die Unterstellung nicht nur böse, sondern auch korrekt: Zu offensichtlich ist,
dass Karl Nehammer hier nicht als Bundeskanzler, sondern als Bundesparteiobmann
der ÖVP agiert. Beziehungsweise reagiert: Seit der niederösterreichischen
Landtagswahl herrscht die Überzeugung vor, dass Impfgegner (oder -skeptiker)
die Pandemie mit der Impfpflicht und einem Lockdown für Ungeimpfte nicht
vergessen haben. Und dass das jetzt vor allem die ÖVP sehr viele Stimmen
kostet. Während die FPÖ, die diese Leute unter Führung von Herbert Kickl
umworben hat, stark zulegt. Die „Krone“ hat das aufgegriffen und durch den
erwähnten Titel zum Ausdruck gebracht.
Nehammers Motivation blockiert einen Versöhnungsprozess; sie
lässt zweifeln, dass dieser ernst gemeint ist. Man kann sich nur wundern
darüber, dass der ÖVP-Chef und seine Berater das nicht auf sich zukommen sehen
haben. Wenn sie das getan hätten, hätten sie von vornherein einiges anders gemacht:
Im Wissen, dass sie selbst befangener Teil der Impfkonflikte sind, hätten sie
zum Beispiel eine unabhängige, angesehene Persönlichkeit gebeten, zu vermitteln
und sich um eine Versöhnung zu bemühen.
Und sie hätten nicht gleich den ersten und den zweiten
Schritt gesetzt, sondern es zunächst beim ersten bewenden und alles gnadenlos
untersuchen lassen: Wer hat warum Lockdowns und andere Maßnahmen verkündet, ob
für alle oder für Ungeimpfte? Wer hat welche Teststrategien präferiert oder
unterdrückt? Und so weiter und so fort. Befremdlich ist, dass Nehammer laut
„Standard“ bereits betont, dass er und seinesgleichen „expertenhörig“ gewesen
seien und dass sich nun Experten erklären sollten. Das ist ein billiger
Versuch, Verantwortung abzugeben.
Doch weiter: Nehammer hätte sich dafür rechtfertigen müssen,
warum er zu Beginn der Pandemie als Innenminister „heftige Attacken gegen Wien“
ritt, wie die „Wiener Zeitung“ damals schrieb, als er so tat, als würden die Sozis
in der Bundeshauptstadt nichts tun zur Eindämmung des Infektionsgeschehens.
Im Übrigen hätte sich Nehammer nun gleich selbst hinstellen
und erklären können, dass ihm bewusst sei, wie er Ungeimpften das Gefühl
gegeben habe, in der Gesellschaft nicht willkommen zu sein: „Die Polizei wird
den Lockdown für Ungeimpfte engmaschig kontrollieren“, verkündete er im Herbst
vor eineinhalb Jahren: „In jedem Bezirk wird es zwei zusätzliche Streifen für
die 2G-Kontrollen geben.“ Natürlich: Heute könnte er dazu sagen, dass er nach
bestem Wissen und Gewissen agiert habe. Er tut jedoch nicht einmal das.
Dass Problem ist, dass der Kanzler plötzlich als großer
Versöhner auftreten möchte, um als ÖVP-Chef davon zu profitieren, Relevantes
jedoch schuldig bleibt. Anders ausgedrückt: Vordringlich müsste er die Rolle
untersuchen lassen, die er und andere Mitglieder der Bundesregierung gespielt
haben; bis hin zu Vergabeprozessen für Masken etwa. Parallel dazu könnte er für
dies und jenes, was Offensichtlich ist, um Entschuldigung bitten. Erst dann
könnte ein aufrichtiger Versöhnungsprozess eingeleitet werden. Aber wenn ein
solcher ohnehin nur parteipolitisch motiviert ist und jetzt schon klar sein
soll, wer an vielem schuld ist (Experten), erübrigt es sich, weiter darüber
nachzudenken.
Johannes Huber betreibt den Blog – Analysen und Hintergründe zur Politik