Gastkommentar von Johannes Huber. Wien nimmt die Maßnahmen nur sehr langsam zurück. Dafür sollte es starke Gründe geben, handelt es sich doch auch um Beschränkungen.
Seit Beginn der Corona-Pandemie versucht die Uni Oxford
durch den sogenannten „Stringency Index“ zum Ausdruck zu bringen, wie groß die
Freiheitsbeschränkungen weltweit sind. „100“ steht dabei für maximale
Beschränkungen, wie sie in einem harten Lockdown gegeben sind, in dem man das
Haus nicht mehr verlassen darf. „0“ ist gleichgesetzt mit keinen
Beschränkungen.
Für Österreich wurde zuletzt ein Index-Wert von 35
ausgewiesen. Im internationalen Vergleich ist das ein sehr hoher. Er ist mehr
als zwei Mal höher als in Deutschland und gut sechseinhalb Mal höher als in der
Schweiz. Das bedeutet, dass es hierzulande im Unterschied zur Nachbarschaft
noch immer erhebliche Beschränkungen gibt.
Das mag überraschen. Selbst dann, wenn man berücksichtigt,
dass immer die strengste Region eines Landes maßgebend ist. In Österreich ist
das Wien. Doch auch hier mag man im Alltag kaum noch das Gefühl haben, unfrei
zu sein. Das hat wohl mit einem Gewöhnungseffekt zu tun.
Und es ist ein Problem: Es hat in der Vergangenheit gute Gründe
für einen vorsichtigen Weg gegeben, wie ihn Bürgermeister Michael Ludwig (SPÖ)
durchgesetzt hat. Relevant waren vor allem gesundheitliche Überlegungen.
Soziale oder grundsätzliche, wie die Freiheit der Bürgerinnen und Bürger,
gingen unter. Sie sollten jedoch immer relevant sein.
Wenn man aus Fehlern lernen möchte, dann zum Beispiel dies:
Was bringen etwa Schulschließungen und was richtet man damit bei den jungen
Leuten an? Das gehört konsequent abgewogen. Der deutsche Gesundheitsminister
Karl Lauterbach (SPD) sieht die Schließungen mittlerweile kritisch. Das ist ein
Fortschritt. Bei der nächsten Pandemie wird man eher darauf verzichten.
Zumindest ebenso relevant wie das Wohlergehen von
Schülerinnen und Schülern sind Freiheitsrechte: Bei ihnen müsste es die Regel
sein, sie in einem maximal möglichen Ausmaß zu gewährleisten. Das heißt, dass
sie im Zweifel Vorrang haben gegenüber Beschränkungen.
Viele dieser Beschränkungen werden nicht als solche
wahrgenommen. Es handelt sich jedoch um eine solche, wenn man in öffentlichen
Verkehrsmitteln eine Maske tragen oder eine bestätigte Infektion auch nur
melden muss. Beides kann erforderlich sein. Beides muss jedoch schlagartig
fallen, wenn es nicht mehr nötig ist.
Dass es in Wien bis Ende Februar noch eine Maskenpflicht in
U-Bahn, Bus und Bim gibt, müsste, damit es gerechtfertigt ist, besser begründet
werden. Zumal dies und jenes zweifeln lässt: Die Pflicht wird von immer mehr
Fahrgästen ignoriert. Schlimmer: In vollen Pendlerzügen gilt sie – je nach
Fahrtrichtung - schon lange nur noch bis bzw. ab der Stadtgrenze. Das macht sie
wirkungslos.
Genauso absurd ist es, sich bei der Abschaffung von
Coronabestimmungen bundesweit bis Ende Juni Zeit zu lassen, wie es die
türkis-grüne Regierung vorhat. Unter anderem mit dem Argument nämlich, dass man
nach der schnellen Einführung wieder geordnete Gesetzgebungsprozesse einhalten
möchte. Sorry: Wenn man die Bestimmungen aus gesundheitlichen Gründen nicht
mehr braucht, müssen sie weg. Noch heute.
Johannes Huber betreibt den Blog – Analysen und Hintergründe
zur Politik