Gastkommentar von Johannes Huber. Der Bundesobmann der FPÖ hat beste Chancen, mit türkiser Unterstützung die nächste Regierung anzuführen.
Türkis-Grün ist erledigt. In einem verzweifelten Kampf ums
politische Überleben beginnt sich die ÖVP von Karl Nehammer neu zu orientieren.
Das Veto gegen einen Schengen-Beitritt von Rumänen und Bulgarien war nur der
Anfang. Nehammer tut sich gerne auch mit autoritären Politikern wie dem
ungarischen Premier Viktor Orbán und dem serbischen Präsidenten
Aleksandar Vučić zusammen, um verstärkt gegen das aufzutreten, was er
als „Asyltourismus“ bezeichnet. Es lässt über Abschiebungen nach Afghanistan
nachdenken und spricht sich selbst dafür aus, Zäume an den EU-Außengrenzen zu
errichten. Also eine Art Festung Europa.
Man glaub direkt sehen zu können, wie ihm Gerald
Fleischmann, der Ex-Berater von Sebastian Kurz, schon die nächste Aussage ins
Ohr flüstert, um Linke, aber auch Vertreter einer bürgerlichen Mitte zu empören
und damit nur noch stärker Rechte zu umwerben. Das ist jedenfalls das Ziel:
Gemeinsam mit der FPÖ will die ÖVP an der Macht bleiben.
FPÖ-Chef Herbert Kickl könnte unter diesen Umständen der
erste Kanzler werden, der sich nicht weiter um dieses Amt bemühen musste.
Nehammer erledigt das für ihn. Konkret: Natürlich will Nehammer mit seinem
Anti-Migrationskurs möglichst viele der 250.000 Wählerinnen und Wähler
umwerben, die Kurz 2019 den Freiheitlichen abgenommen hat. Er wird jedoch
selbst wissen, dass es unmöglich ist, sich bei der nächsten Nationalratswahl
auf Platz eins zu halten. Dort wird eher Kickl mit seinen Leuten oder
vielleicht SPÖ-Vorsitzende Pamela Rendi-Wagner mit ihren Genossen landen.
Was Nehammer jetzt betreibt, ist vor diesem Hintergrund denn
auch schon auf den übernächsten Schritt ausgerichtet: Es geht ihm nicht nur
darum, den türkisen Absturz zu beschränken, sondern auch darum, mit bläulich
türkiser Politik die Weichen für die nächste Regierung zu stellen. Daran
arbeitet er, als würde es darum gehen, noch heute alles unter Dach und Fach zu
bringen.
Kickl als Kanzler mag schwer vorstellbar sein.
Bundespräsident Alexander Van der Bellen wird ihn nur widerwillig akzeptieren.
Doch was will er machen? Nehammer wiederum bezeichnet Kickl als radikalisierten
Politiker, der Unsinn von sich gebe und Kickl nennt Nehammer einen
Kriegstreiber. Das wirkt nach verbrannter Erde. Nüchtern betrachtet
unterscheidet die beiden im Inhalt jedoch weniger denn je.
Außerdem ist die ÖVP mit Nehammer sogar abhängig von den
Freiheitlichen. Mit der SPÖ verbindet sie nichts mehr, es herrscht eher
Verachtung. Mit Grünen oder Neos wird sie zu keiner Mehrheit (mehr) kommen. Da
muss sie froh sein, sich unter Kickl zumindest als Juniorpartnerin in der
nächsten Regierung halten zu können.
Johannes Huber betreibt den Blog – Analysen und Hintergründe
zur Politik