Julia Timoschenko, die ehemalige ukrainische Ministerpräsidentin, zeigte zwar Verständnis für die Neutralität Österreichs, rät aber zu einem "zusätzlichen Verteidigungssystem".
Doch selbst bei einer starken Armee würde Österreich "ein zusätzliches Verteidigungssystem nicht schaden", sagte Timoschenko im Gespräch mit der APA. Die bündnisfreien Länder Finnland und Schweden würden mittlerweile ähnlich denken und einen NATO-Beitritt anstreben. "Wir werden Österreich keinen Ratschlag geben, wir teilen nur unsere Erfahrungen."
Timoschenko rät Österreich zu weiteren "Verteidigungssystem"
Die Ukrainer waren - so wie viele Österreicher - überzeugt, dass es nie einen Krieg gegen ihr Land geben würde, erklärte Timoschenko, die wegen einer Sicherheitskonferenz am Freitag in Wien weilte. "Österreich ist geografisch in einer einzigartigen Umgebung". Österreich grenze an sechs NATO-Mitglieder und habe keine gemeinsame Grenze mit einem der potenziell aggressiven autoritären Staaten. "Aber man muss immer bedenken, dass ein kollektives Sicherheits- und Verteidigungssystem in erster Linie darauf abzielt, abzuschrecken."
Ukraine war nicht geschützt
Die
Ukraine sei nicht Mitglied eines solchen Systems, "deshalb waren wir
nicht geschützt". Und jetzt spüre ganz Europa die Auswirkungen, die
wirtschaftlichen und auch die Bedrohungen wie etwa die Gefahr eines
Nuklearschlags oder die Sorge um das AKW Saporischschja, das die
zehnfache Stromkapazität des havarierten AKW Tschernobyl habe. "Das sind
die Folgen davon, dass die Ukraine außerhalb der kollektiven
Sicherheitssysteme steht."
Timoschenko weiß nicht, ob Putin Atomwaffen einsetzen würde
Die Frage, ob Russlands Präsident
Wladimir Putin Atomwaffen einsetzen würde, kann die Ikone der
proeuropäischen Orangenen Revolution nicht beantworten. Statt sich zu
fragen, ob Putin Nuklearwaffen einsetzen werde, sollte man laut
Timoschenko "vom schlimmsten Szenario" ausgehen. Notwendig sei es, jetzt
so zu handeln, "dass man ihn davon abhält".
Atomwaffeneinsatz Russlands würde mit Großangriff beantwortet
Putin sei bereits
gesagt worden, dass ein Atomwaffeneinsatz die stärkste konventionelle
Antwort hervorrufen werde, etwa einen Großangriff auf die russische
Flotte von Sewastopol. Nötig ist aus Timoschenkos Sicht aber auch, Putin
einen Forderungskatalog zu übermitteln: Gefordert solle von ihm nicht
nur werden, okkupierte ukrainische Territorien zu verlassen und
ukrainische Kriegsgefangene zurückzuführen. Die Oppositionschefin
plädierte für das Setzen einer Frist. Wenn Russland diese nicht
einhalte, sei es eine Frage der NATO-Mitglieder, gemeinsam stark zu
reagieren und Russland die Möglichkeit zu nehmen, diesen Krieg weiter zu
führen.
Timoschenko: "Putin geht so weit, wie er denkt, dass er braucht"
"Putin geht so weit, wie er denkt, dass er braucht",
betonte Timoschenko. In der Gaskrise 2009 habe Putin, obwohl mitten im
Winter bei minus 20 Grad, nicht davor zurückgescheut, Gaslieferungen zu
stoppen in dem Wissen, dass Kinder und Familien frieren. "Das zeigt,
dass er schon damals Gaslieferungen als Waffe benutzt hat."
Patronage von Österreich mit der Region Saporischschja
Dankbar
zeigte sich Timoschenko für die Erwägung Österreichs, nach dem Krieg
für die Region Saporischschja eine Patronage zu übernehmen. Die
Politikerin dankte der österreichischen Regierung und Bevölkerung
außerdem für die Unterstützung, das Mittragen der Sanktionen, die
humanitäre Hilfe und Flüchtlingsaufnahme.
Timoschenkos VAterlands-Partei unterstützt Ukraine humanitär
Auch Timoschenkos
Vaterlands-Partei unterstützt ihr Land humanitär. Die
Ex-Regierungschefin selbst reise ins Ausland, spreche mit
internationalen Politikern über die Bedürfnisse der Ukraine, versuche
sicherzustellen, dass die westliche Einheit bestehen und sich der Westen
des Krieges nicht überdrüssig werde, ergänzte ihr Parteikollege
Hryhoriy Nemyria, Mitglied des außenpolitischen Ausschusses des
ukrainischen Parlaments.
Timoschenko zu Selenskyj: "Vor dem Krieg waren wir Opponenten"
Angesprochen auf die Kooperation der
ukrainischen Opposition mit der Regierung um Präsident Wolodymyr
Selenskyj betonte Timoschenko: "Vor dem Krieg waren wir Opponenten. Am
Tag 1, dem Kriegsbeginn, ist die Politik verschwunden. Wir sind ein
Team, das Team Ukraine, das für das Überleben des Landes kämpft."
Weiters erklärte sie: "Wir unterstützen unseren Präsidenten, unsere
Armee, unsere Regierung." Kooperation sei ein entscheidender Faktor für
einen gemeinsamen zukünftigen Sieg, gab sie sich überzeugt.
Zur Person von Julia Timoschenko
Julia Timoschenko, geboren 27. November 1960 in Dnipropetrowsk, war von Dezember 2007 bis März 2010 sowie von August 2011 bis 22. Februar 2014 Ministerpräsidentin der Ukraine. Sie war die bekannteste Protagonistin der proeuropäischen Orangenen Revolution in ihrem Land. Davor war sie im Gasgeschäft tätig, was ihr auch den Spitznamen Gasprinzessin einbrachte. Wegen einer Verurteilung wegen Untreue musste sie ins Gefängnis. Der Menschenrechts-Gerichtshof verurteilte die Strafe. Timoschenko ist Vorsitzende der Vaterlandspartei. In der Präsidentenwahl 2019 scheiterte sie gegen Wolodymyr Selenskyj.