Kremlchef Wladimir Putin feiert seinen 70. Geburtstag am Freitag. Angesichts immer neuer Niederlagen im Angriffskrieg gegen die Ukraine wird er als Oberbefehlshaber alle Hände voll zu tun haben.
Sein runder Geburtstag sollte auch ein politischer Triumph werden: Längst wollte der russische Präsident Wladimir Putin die Ukraine, die in die EU und in die NATO strebt, mit seinem Angriffskrieg als Staat zerstört haben. Doch auch an seinem 70. Geburtstag an diesem Freitag (7. Oktober) wird der Kremlchef angesichts immer neuer Niederlagen bei seiner Invasion als Oberbefehlshaber alle Hände voll zu tun haben.
Kontrollverlust im Krieg: Kremlchef Putin feiert 70. Geburtstag
Vor allem aber muss Putin, der Russland nach den chaotischen 1990er-Jahren voller Armut wieder auf die Beine brachte, jetzt zusehen, wie nach seinen gut 22 Jahren an der Macht vieles in sich zusammenfällt. Nach mehr als sieben Monaten Blutvergießen und Tausenden Toten auf ukrainischer und russischer Seite wird sich der für seine Gefühlskälte bekannte Ex-Geheimdienstchef den Geburtstag dennoch nicht ganz verderben lassen. Der Jubilar, der wegen seiner Auftritte in den prunkvollen Palästen und wegen der fast unbegrenzten Machtfülle mit einem Zaren verglichen wird, hat ein Faible für gutes Essen. Er werde den Geburtstag auch arbeitend verbringen, sagte Kremlsprecher Dmitri Peskow am Mittwoch.
Putin annektierte vier ukrainische Gebiete völkerrechtswidrig
Gerade erst hat er
vier ukrainische Gebiete unter internationalem Protest
völkerrechtswidrig annektiert. Trotzdem kontrolliert Russland die
Regionen nicht komplett. Putin entschied sich für die Annexion, um nach
monatelangem Kampf endlich ein Ergebnis zu präsentieren. "Der Krieg
hätte sonst seinen Sinn verloren", sagt der Politologe Abbas Galljamow.
Als einen Sieg sieht das aber nicht einmal der Kreml.
Poitologe Galljamow bescheinigt Putin Kontrollverlust
Galljamow,
der früher selbst im Kreml arbeitete, will Putin nicht als "wahnsinnig"
bezeichnen, bescheinigt ihm aber "Kontrollverlust". Der
Ex-Geheimdienstchef, der einst im gefürchteten sowjetischen KGB Karriere
machte, sei nicht mehr Herr der Lage - wie lange in seinem politischen
Leben. Putin sei ein Getriebener der Lage in der Ukraine. Er habe seinen
Status als "heilige Figur", als Garant für Stabilität verloren. Sogar
mit dem Einsatz von Atomwaffen drohte er schon.
Massive Rezessionen in Russland wegen westlicher Sanktionen
Die stolze
Rohstoffmacht erlebt auch wegen des Drucks der Sanktionen des Westens im
Zuge des Ukraine-Kriegs eine massive Rezession. Tausende Firmen haben
das Land verlassen, Zehntausende Russen haben keine Arbeit mehr.
Galljamow spricht von einer beispiellosen "Deindustrialisierung" des
Landes. "Er macht Russland zu einem Dritte-Welt-Land", sagt er über
Putin. Die Elite des Landes sei in einer "Depression", weil der schnelle
Sieg in der Ukraine fehle. Zu den Niederlagen der Armee komme das Chaos
bei der Teilmobilmachung.
"Putin ist heute der größte destabilisierende Faktor"
"Putin ist heute der größte
destabilisierende Faktor, ein Destabilisator", meint Galljamow.
Russlands Elite verliere nun ihren Halt, weil sie sich 22 Jahre auf
Putin gestützt habe. Das sei vorbei. Doch Galljamow sagt auch, dass
Putins Ressourcen noch gewaltig seien - auch wegen der Ergebenheit des
Sicherheitsapparats. Zudem vertrauen viele Russen - vor allem die über
60-Jährigen - ihm weiter, weil sie keinen anderen starken Führer sehen.
Russlands Präsident Putin präsentiert sich bis heute als Judoka
Mit
einer Mischung aus Härte gegenüber dem Westen und immer wieder auch
demonstrativ menschlichen Augenblicken hat Putin es stets verstanden,
Leute für sich einzunehmen. Schon als Teenager galt seine Leidenschaft
dem Kampfsport, bis heute präsentiert er sich als Judoka und
Eishockey-Spieler oder mit nacktem Oberkörper beim Fischen oder Reiten.
Zugleich setzt er sich immer wieder als Tierfreund in Szene, als Retter
bedrohter Arten, darunter der Amurtiger.
Putin machte aus seinem Privatleben ein großes Geheimnis
Aus seinem Privatleben aber machte er stets ein großes Geheimnis. Nach fast 30 Jahren Ehe hatte Putin 2013 die Trennung von seiner Frau Ljudmila bekanntgegeben. Aus der Ehe gingen zwei Töchter hervor, die 1986 in Dresden geborene Jekaterina und die ein Jahr ältere Maria. Putin ist Großvater, aber offiziell bis heute Single.
Krankheiten und Gebrechen: Gedanken über Zeit nach Putin
Unvergessen ist auch sein Flug mit
Kranichen am Himmel. Weil er nach der Landung damals lange mit
Rückenproblemen zu kämpfen hatte, machten sich viele schon einmal
Gedanken, wie es sein könnte, wenn Putin einmal nicht mehr da ist. Immer
wieder wurden ihm seither vor allem durch westliche Geheimdienste
Krankheiten und Gebrechen angedichtet. Aber Kremlsprecher Dmitri Peskow
beteuert regelmäßig, Putin sei gesund.
Wladimir Putin wurde am 7. Oktober 1952 in Leningrad geboren
Am 7. Oktober 1952 in
Leningrad (heute St. Petersburg) wurde Putin als drittes Kind einer
Arbeiterfamilie geboren. Sein Vater wurde durch Kriegsverletzungen zum
Invaliden, seine Mutter überlebte die Leningrader Blockade der deutschen
Faschisten, verlor zwei Söhne und war über 40 Jahre alt, als sie den
dritten und letzten Sohn Wladimir zur Welt brachte.
Viele die mit Putin in der Stadtverwaltung arbeiten haben heute hohe Posten
Putin, der
Jura studierte, war in den 1990er-Jahren nach seiner Rückkehr aus
Dresden Berater des Bürgermeisters seiner Heimatstadt St. Petersburg.
Viele, die damals mit ihm in der Stadtverwaltung arbeiteten, haben heute
hohe Posten: Alexej Miller ist Chef des Gasmonopolisten Gazprom. Dmitri
Medwedew wurde Präsident und Regierungschef und ist Vize des
Sicherheitsrates. Igor Setschin leitet den größten russischen Ölkonzern
Rosneft, wo Altkanzler und Putin-Freund Gerhard Schröder einst
Aufsichtsratsvorsitzender war. Auch aus seiner KGB-Zeit in Dresden hat
er Vertraute wie den Chef der Industrie- und Rüstungsholding Rostec,
Sergej Tschemesow, in einflussreiche Positionen gebracht. Die Liste der
Günstlinge, darunter viele Oligarchen, ist lang.
Kremlkritiker Nawalny sieht Putin als korruptesten Politiker Russlands
Das hat auch der
im Straflager inhaftierte Putin-Gegner Alexej Nawalny in seinem Film
"Ein Palast für Putin" dargelegt. Nawalny sieht Putin als korruptesten
Politiker des Landes. Russlands prominentester Oppositioneller wirft dem
Kremlchef vor, ein durch und durch mafioses System geschaffen zu haben.
"Formal vertrat er die Interessen des Staates, faktisch aber half er
einfach nur Banditen", sagt Nawalny in dem Film. Er hatte 2020 nur knapp
einen Mordanschlag mit dem chemischen Kampfstoff Nowitschok überlebt.
Viele Kremlkritiker und Journalisten wurden erschossen
Mit Putin an der Macht führte Russland Kriege gegen Tschetschenien, Georgien, in Syrien und gegen die Ukraine. Viele Kremlkritiker, darunter der frühere Vize-Regierungschef Boris Nemzow und auch Journalisten wie Anna Politkowskaja und Natalia Estemirowa wurden erschossen. Seit Jahren sieht sich Putin in der Kritik, die letzten Reste der Freiheitsrechte und unabhängige Medien vernichtet zu haben. Er lässt Proteste gewaltsam auflösen und Andersdenkende brutal verfolgen.
Putin hatte 2000 ein demokratisches Russland versprochen
Dabei hatte Putin,
als sein Vorgänger Boris Jelzin in der Silvesternacht zu 2000 seinen
Rücktritt bekannt gab, noch ein demokratisches Russland versprochen.
Kritiker sprachen von einer eiskalt eingefädelten Machtübernahme. 2020
ließ Putin auch die Verfassung ändern, die ihm einen Verbleib an der
Macht bis 2036 ermöglicht, sollte er wieder kandidieren und gewinnen.
Vormarsch der NATO bis an die Grenzen Russlands
Bis
heute verfängt bei einem großen Teil der russischen Bevölkerung seine
in der Sowjetunion erworbene Ideologie eines aggressiven
Anti-Amerikanismus. Der scharfen Kritik am Westen ist der zu
kommunistischen Zeiten heimlich als russisch-orthodoxer Christ getaufte
Putin bis heute treu geblieben. Dabei müsse er nun auch in seinem Kampf
gegen einen Vormarsch der NATO bis an die Grenzen Russlands Niederlagen
hinnehmen. Nach Russlands Einmarsch in die Ukraine werden nun auch
Finnland und Schweden NATO-Mitglieder.
Kremlchef Putin sieht sich im Krieg mit dem "kollektiven Westen"
Inzwischen sieht sich der
Kremlchef im Krieg mit dem "kollektiven Westen" insgesamt. Dabei gab es
anfangs Hoffnung, dass die Beziehungen zwischen Russland und dem Westen
unter Putin florieren. Als erster russischer Präsident hielt er im
September 2001 eine Rede im Bundestag - auf Deutsch. Die
Handelsbeziehungen nahmen zu. Vor allem wurde Deutschland noch
abhängiger von russischem Gas als zuvor. Heute ist das alles Geschichte.
Galljamow: Putin setze in seinem Krieg auf Zuspitzung der Energiekrise im Westen
Der
Politologe Galljamow sagt, dass Putin in seinem Krieg jetzt vor allem
darauf setze, dass die Energiekrise sich in Europa weiter zuspitze und
damit die Solidarität mit der Ukraine im Westen breche. Wenn Europa bis
März nicht "eingefroren" sei, dann sehe es schlecht aus für Putin - ein
Jahr vor der Präsidentenwahl, die 2024 ansteht. Galljamow sieht derzeit
angesichts fallender Zustimmungswerte nicht, dass Putin sich einen neuen
Sieg verschaffen kann ohne Betrug. Aber Manipulation könne zu einer
Revolution führen, meint er.
Galljamow sieht nur Putins Rücktritt als friedlichen Ausweg
Galljamow sieht nur einen friedlichen
Ausweg: Putin könnte selbst einen Nachfolger benennen, dem er vertraue.
Als einen möglichen Kandidaten sieht er Sergej Sobjanin, den
Bürgermeister von Moskau. Immer mehr Menschen verstünden, dass Putins
Zeit abgelaufen und er klar der Hauptverantwortliche für die Niederlagen
der Armee sei. "Wenn er die Ukraine nicht überfallen hätte, dann hätte
wohl niemand gemerkt, dass die russische Armee nur ein Papiertiger ist."