Der Verwaltungsgerichtshof (VwGH) bestätigte nun, dass der Pushback von Geflüchteten nach Slowenien an der Grenzkontrollstelle Sicheldorf im Herbst 2020 rechtswidrig war.
Ins Rollen gebracht hatte das Verfahren eine Maßnahmenbeschwerde von Ayoub N., der am 28. September 2020 mit weiteren sechs Personen von heimischen Polizisten aufgegriffen und trotz eines Asylansuchens in der Südsteiermark innerhalb von nur achtundvierzig Stunden über Slowenien und Kroatien nach Bosnien gebracht worden war. Drei der Betroffenen waren laut Angaben des Innenministeriums unbegleitete Minderjährige. Die insgesamt sieben Personen hätten klar um Asyl gebeten und seien damit vorübergehend aufenthaltsberechtigt gewesen, hieß es seitens der Initiative Push-Back Alarm Austria sowie der Asylkoordination Österreich, die den Fall dokumentiert und öffentlich gemacht hatten.
Bei gerichtlich festgestellten Pushbacks soll Wiedereinreise gestattet werden
Die
höchstgerichtliche Bestätigung, dass die in der Amtszeit des damaligen
Innenministers und nunmehrigen Bundeskanzlers Karl Nehammer (ÖVP)
erfolgte Zurückweisung von Ayoub N. illegal war,
kommentierte der Wiener Rechtsanwalt Clemens Lahner, der den gebürtigen
Marokkaner vertritt, am Donnerstag in einer Pressemitteilung
folgendermaßen: "Es ist uns gelungen, den Nachweis für die Verletzung
eines absolut geltenden Menschenrechts zu erbringen. Es ist aber
unbefriedigend, dass mein Mandant trotz der festgestellten
Rechtsverletzung nicht automatisch das Recht zur Wiedereinreise nach Österreich hat." Die Initiative Push-Back Alarm Austria und die Asylkoordination Österreich fordern nun die Schließung dieser Rechtslücke. Wird ein Push-Back
gerichtlich festgestellt, sollte den Betroffenen automatisch die
Wiedereinreise gestattet und ein pauschaler Schadenersatz für die
erlittene Grundrechtsverletzung zuerkannt werden, verlangten sie in
einer Presseaussendung. Indes wird von Anwalt Lahner geprüft, ob Ayoub
N. Amtshaftungsansprüche zustehen.
Laut VwGH war Pushback nach Slowenien rechtswidrig
Der VwGH
hält in seinem der APA vorliegenden Beschluss (Ra 2021/21/0274-6) fest,
die vom Landesverwaltungsgericht Steiermark getroffene Annahme, es sei
glaubwürdig, dass Ayoub N. in Anbetracht der ihm bekannten möglichen
Zurückweisung an der Grenzkontrollstelle Sicheldorf sein Verlangen nach
Asyl in hörbarer Weise kundgetan habe, könne "nicht als unschlüssig
angesehen werden". Die beteiligten Sicherheitsorgane hätten sich "mit
der Vermutung einer beabsichtigten Durchreise begnügt (...), ohne ihn nach dem Zweck seiner Einreise zu fragen". Laut VwGH
wurde von den Grenzschutzbeamten "offenbar verabsäumt", sich zu
vergewissern, ob der der Marokkaner einen Antrag auf internationalen
Schutz stellen wollte, und dessen Angaben zumindest stichwortartig zu
dokumentieren. "Auch im Hinblick darauf war
es gerechtfertigt, zugunsten des Mitbeteiligten auf Basis von dessen
schriftlich übermittelten Aussagen anzunehmen, dass ein Antrag auf
internationalen Schutz (...) gestellt worden war", heißt es in dem VwGH-Erkenntnis.
Ayoub N. hofft auf Ende des rechtswidrigen Handelns
Der betroffene Marokkaner hofft jetzt, dass diese Entscheidung dem rechtswidrigen
Handeln der Behörden an der sogenannten Balkanroute ein Ende setzt.
"Der Alptraum muss endlich aufhören. Mir wurden zwei Jahre meines Lebens
gestohlen", wird Ayoub N., der sich derzeit ohne Obdach in Serbien
aufhält, in der gemeinsamen Presseaussendung von Push-Back
Alarm Austria und der Asylkoordination Österreich zitiert. Darin treten
die NGOs für "effektive Maßnahmen zur sofortigen Beendigung illegaler Push-Backs an der österreichischen Südgrenze" ein. Das Aussetzen aller Rückweisungen nach Slowenien nach
Aufgriffen von Geflüchteten im Grenzgebiet und eine externe Evaluierung
der Rückweisungen in den vergangenen beiden Jahren in Hinblick auf
Ketten-Push-Backs, Folter und unmenschliche Behandlung seien
unabdingbar.
Asylkoordination Österreich fordert Erklärung
Für Lukas Gahleitner-Gertz, den Sprecher der
Asylkoordination Österreich, hat Innenminister Gerhard Karner (ÖVP)
Erklärungsbedarf, da er im Dezember 2021 dem Parlament versichert habe,
dass es in Österreich keine illegalen Push-Backs
gebe: "Es stellt sich die Frage, ob der Innenminister das Parlament
angelogen hat oder er schlicht keine Ahnung hat, was in seinem
Einflussbereich passiert. In beiden Fällen ist er rücktrittsreif." Für
Gahleitner-Gertz muss es nach
dem nunmehr rechtskräftig abgeschlossenen Verfahren Konsequenzen geben.
Trotz der gravierenden Vorwürfe sei bisher nicht einmal ein
Disziplinarverfahren eingeleitet worden. Dabei habe das gegenständliche
Verfahren gezeigt, dass seit 2020 hunderte Rückweisungen an der
österreichischen Südgrenze zu Slowenien ident abgelaufen seien.
27 Personen heuer von Österreich übernommen
"Als Sofortmaßnahme müssen alle Rückweisungen nach Slowenien ausgesetzt und die Polizeimaßnahmen extern evaluiert werden", appellierte Klaudia Wieser von der Initiative Push-Back Alarm Austria an den Innenminister. Nach Angaben der slowenischen Polizei seien im laufenden Jahr wieder 27 Personen von Österreich übernommen worden - "beinahe doppelt so viele wie im Vergleichszeitraum des Vorjahres", wie Wieser betonte.