Am Samstag wird weiterhin erbittert um Sjewjerodonezk im Osten der Ukraine gekämpft. Russland verstärkte seine Truppen rund um die Industriestadt, teilte der ukrainische Generalstab mit.
Bei den Angriffen auf die strategisch wichtige Stadt werde Artillerie eingesetzt. Der Versuch der russischen Soldaten, ins nahe gelegene Bachmut vorzudringen und Sjewjerodonezk abzuriegeln, sei allerdings gescheitert. Daraufhin hätten sich die russischen Einheiten zurückgezogen.
Russland verstärkt seine Truppen bei Sjewjerodonezk
Am Freitagabend hatte der Gouverneur der Region
Luhansk, Serhij Gaidai, erklärt, in Sjewjerodonezk seien Teile
zurückerobert worden. Etwa ein Fünftel des an die russische Armee
verlorenen Gebietes der Stadt sei wieder unter ukrainischer Kontrolle.
Unabhängig überprüfen lassen sich die Angaben nicht.
Sjewjerodonezk unter Beschuss
UKRAINE-CRISIS/LUHANSK REGION
© REUTERS/Alexander Ermochenko/File Photo
Ukrainische Soldaten konnten Teile Sjewjerodonezk zurückerobern
Russische
Soldaten sprengten nach Angaben des Gouverneurs Brücken in
Sjewjerodonezk. Damit solle verhindert werden, dass militärische
Ausrüstung und Hilfe für die Zivilisten in die Stadt gebracht werden
könne, sagte Gouverneur Gaidai im Fernsehen. Ukrainische Einheiten
hielten weiterhin ihre Stellungen in der Stadt und drängten russische
Soldaten an mehreren Stellen zurück, sagt Gaidai. Die Industriestadt
Sjewjerodonezk liegt am Siwerskji Donez, auf der anderen Seite des
Flusses befindet sich ihre Zwillingsstadt Lyssytschansk.
Russische Soldaten sprengten Brücken in Sjewjerodonezk
Angesichts
der dramatischen Situation in Sjewjerodonezk warnte der in Wien lebende
ukrainische Oligarch Dmytro Firtasch vor der Wiederholung eines
Szenarios wie in Mariupol. Firtaschs Holding GroupDF besitzt die
Swjewjerodonezker Chemiefabrik Asot, in deren Bunkern sich 800
Zivilisten aufhalten sollen, darunter 200 Fabriksarbeiter. Russland
müsse den laufenden Angriff bedingungslos einstellen, forderte der Ukrainer am Samstag laut einer Aussendung.
Oligarch Firtasch in Wien warnte vor Szenario wie in Mariupol
Trotz
des verstärkten Angriffs russischer Truppen seien 200 Mitarbeiter in
der Stickstofffabrik geblieben, um die Reste von dort lagernden
"hochexplosiven Chemikalien" bestmöglich zu sichern und professionell zu
schützen, hieß es in der Aussendung. Ein Großteil des in der Anlage
gelagerten Stickstoffs sei jedoch rechtzeitig aus dem Konfliktgebiet
evakuiert worden.
Artillerie- und Luftangriffe Russlands im Osten der Ukraine
Nach Erkenntnissen des britischen
Militärgeheimdienstes hält das russische Militär seine Artillerie- und
Luftangriffe im Osten der Ukraine
auf einem hohen Niveau. "Der verstärkte Einsatz von ungelenkter
Munition hat zur großflächigen Zerstörung bebauter Gebiete im Donbass
geführt und mit ziemlicher Sicherheit erhebliche Kollateralschäden und
zivile Opfer verursacht", teilte das Verteidigungsministerium unter
Verweis auf den regelmäßigen Geheimdienstbericht auf Twitter mit.
Russland habe seine taktischen Luftangriffe verstärkt, um den langsamen
Vormarsch zu unterstützen. Zum Einsatz kämen Kampfflugzeuge und
Artillerie.
Die Lage in Sjewjerodonetsk
UKRAINE-CRISIS/SIEVIERODONETSK
© REUTERS/Serhii Nuzhnenko/State Emergency Service of Ukraine/Handout via REUTERS
Auch im Süden der Ukraine setzt russisches Militär Angriffe fort
Auch im Süden der Ukraine
setzte das russische Militär seine Angriffe fort. In der Region Odessa
habe am Samstagmorgen eine Rakete ein landwirtschaftliches Lager
getroffen, schrieb ein Sprecher der Regionalregierung auf Twitter. Zwei
Menschen seien verletzt worden.
Zudem wurden bei einem Angriff auf
die Region Charkiw im Nordosten am Freitag zwei Menschen getötet. Zwei
weitere seien verletzt worden, als ein ziviles Ziel von russischer Seite
beschossen worden sei, meldete die ukrainische Nachrichtenagentur
Interfax unter Berufung auf Rettungskräfte.
Zwei Tote bei Angrif auf die Region Cahrkiw am Freitag
Die russische Armee
kontrolliert etwa ein Fünftel des ukrainischen Territoriums. Etwa die
Hälfte davon - wie die annektierte Halbinsel Krim - geriet bereits 2014
unter Kontrolle Russlands beziehungsweise der von ihm unterstützten
Separatisten im Donbass im Osten. Das übrige Gebiet haben die russischen
Soldaten seit Beginn ihrer Invasion am 24. Februar eingenommen.
Russische Armee kontrolliert ein Fünftel des ukrainischen Gebietes
Seit
einiger Zeit konzentriert Russland seine Offensive auf den Osten des
Nachbarlandes. Seine Truppen rücken langsam, aber stetig vor. Es ist
ihnen bisher jedoch nicht gelungen, die beiden Regionen Luhansk und
Donezk, die den Donbass bilden, vollständig einzunehmen. Sollte das
russische Militär Sjewjerodonezk und seine Zwillingsstadt Lyssytschansk
auf der anderen Seite des Flusses Siwerskji Donez einnehmen, hätte es
die Region Luhansk vollständig unter Kontrolle. Der russische Präsident
Wladimir Putin hätte damit ein wichtiges Ziel erreicht.
Die russischen Truppen haben bereits im Süden der Ukraine
Gebiete eingenommen. Sie haben die Kontrolle über die praktisch
zerstörte Hafenstadt Mariupol am Asowschen Meer, das über die Straße von
Kertsch mit dem Schwarzen Meer verbunden ist, und wollen die Krim über
eine Landbrücke mit dem Donbass verbinden. Die Krim liegt zwischen dem
nördlichen Schwarzen Meer und dem Asowschen Meer.
Ukrainische Präsidialverwaltung rechnet noch mit halbem Jahr Krieg
Die ukrainische
Präsidialverwaltung prognostiziert, dass der russische Angriffskrieg
noch bis zu einem halben Jahr dauern kann. "Das kann sich noch zwei bis
sechs Monate hinziehen", sagte der ukrainische Präsidentenberater
Mychajlo Podoljak im Interview mit dem oppositionellen russischen
Online-Portal "Medusa" am Freitagabend. Am Ende hänge es davon ab, wie
sich die Stimmung in den Gesellschaften Europas, der Ukraine und Russlands verändere.
Verhandlungen erst, wenn sich die Lage auf Schlachtfeld ändere
Verhandlungen
werde es erst geben, wenn sich die Lage auf dem Schlachtfeld ändere und
Russland nicht mehr das Gefühl habe, die Bedingungen diktieren zu
können, sagte Podoljak. Er warnte dabei einmal mehr vor territorialen
Zugeständnissen an Russland. Das werde den Krieg nicht beenden.
Guterres forderte nach 100 Tagen russischen Angriffskrieges ein Ende der Gewalt
UN-Generalsekretär António Guterres hat nach 100 Tagen des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine
ein sofortiges Ende der Gewalt gefordert. Zudem betonte er in einer
Mitteilung von Freitag (Ortszeit), eine Lösung des Konflikts erfordere
Verhandlungen und Dialog. Die Vereinten Nationen würden all solche
Bemühungen unterstützen. Guterres forderte außerdem ungehinderten Zugang
humanitärer Helfer zu allen Bedürftigen.
Russland bezeichnet sein Vorgehen in der Ukraine als einen militärischen Sondereinsatz zum Schutz der dortigen russischsprachigen Bevölkerung. Die Ukraine und westliche Staaten sprechen dagegen von einem nicht provozierten Angriffskrieg.