Russland hat in der Ostukraine die strategisch wichtige Stadt Lyman eingenommen. Das ukrainische Militär räumte einen Rückschlag im Kampf um die Stadt ein.
Die Stadt Lyman in der Ostukraine ist nach russischen Angaben unter Kontrolle russischer Truppen und den mit ihnen verbündeten Einheiten der Volksrepublik Donezk. Das teilte das Verteidigungsministerium in Moskau mit. Am Freitag hatten bereits pro-russische Separatisten der selbst ernannten "Volksrepublik Donezk" die Eroberung Lymans verkündet.
Stadt Lyman ist Eisenbahnknoten in der Ostukraine
"Durch das gemeinsame
Vorgehen von Einheiten der Donezker Volksrepublik und der russischen
Streitkräfte wurde die Stadt Krasny Liman vollständig von ukrainischen
Nationalisten befreit", sagte der Sprecher des russischen
Verteidigungsministeriums, Igor Konaschenkow, am Samstag. Krasny Liman
ist die noch aus sowjetischer Zeit stammende Bezeichnung für Lyman.
Lyman ist als Eisenbahnknoten und Straßenverbindung zu den
Ballungsräumen Sewerodonezk - Lyssytschansk im Osten und Slowjansk -
Kramatorsk im Südwesten strategisch wichtig.
Konaschenkow berichtete zudem von schweren Luft- und Raketenangriffen gegen die Städte Bachmut und Soledar im Gebiet Donezk. Getroffen worden seien unter anderem Gefechtsstände und Munitionsdepots. Die ukrainischen Verluste allein durch die Luftwaffe bezifferte der russische Armeesprecher auf 260 Soldaten.
Ukrainischer Generalstab meldete schwere Kämpfe in Ostukraine
Der Feind "versucht sich im Raum
Lyman festzusetzen" und beschieße bereits Ortschaften außerhalb der
Stadt, hatte es zuvor am Samstag im Lagebericht des ukrainischen
Generalstabs geheißen. Am Vortag hatte der Generalstab noch von Kämpfen
in Lyman berichtet und mitgeteilt, die russischen Truppen versuchten,
die ukrainischen Verteidiger aus der Stadt zu drängen.
Der
Generalstab teilte weiter mit, dass die russischen Truppen die
Ortschaften Oserne und Dibrowa mit Granat- und Raketenwerfern
beschießen. Beide Dörfer liegen südöstlich von Lyman. Das deutet darauf
hin, dass die Front nun südlich der Stadt verläuft. Das russische
Militär hatte Lyman von Norden her angegriffen.
Sewerodonezk war
ein weiteres Ziel russischer Angriffe in der Nacht. Die Vorstöße auf die
Stadt sowie deren Vororte Toschkiwka und Oskolonowka seien aber
abgewehrt worden, teilte der Generalstab mit. Im nahe gelegenen Bachmut
hätten die Russen versucht, in den Rückraum der ukrainischen Kräfte zu
kommen und die Versorgungswege abzuschneiden. Auch diese Bemühungen
seien gescheitert.
Richtung Slowjansk gab es laut Bericht keine Bodenoffensive der russischen Truppen. Stattdessen seien in dem Raum mit Artillerie und Luftwaffe mehrere Ortschaften bombardiert worden. Artilleriefeuer auf die ukrainischen Verteidigungslinien wird auch an den übrigen Schwerpunkten der Front gemeldet: Kurachowe, Awdijiwka sowie weiter südwestlich in Huljajpole.
Präsident Selenskyj gibt sich weiter kämpferisch
Der ukrainische Präsident
Wolodymyr Selenskyj bezeichnete die Lage im umkämpften Donbass
angesichts russischer Angriffe am Freitag in seiner allabendlichen
Videoansprache als sehr schwierig. Aber er zeigte sich kämpferisch - und
trat der Darstellung entgegen, Russland habe Lyman eingenommen. "Wenn
die Okkupanten denken, dass Lyman und Sewerodonezk ihnen gehören werden,
irren sie sich. Der Donbass wird ukrainisch bleiben", sagte er.
Wenn Russland Zerstörung und Leid bringe, werde die Ukraine jeden Ort wiederherstellen. Dort werde nur die ukrainische Fahne wehen - und keine andere, betonte Selenskyj. Moskau setze im Donbass ein Maximum an Artillerie und Reserven ein, es gebe Raketen- und Luftangriffe. Die ukrainische Armee verteidige das Land mit allen derzeit verfügbaren Ressourcen. "Wir tun alles, um die Armee zu stärken", versicherte der Präsident.
Ukrainische Armee berichtete von Zerstörung russischer Panzer
Die ukrainische Armee berichtete von heftigen Angriffen
per Artillerie, Panzer, Mörser und aus der Luft auf zivile
Infrastruktur und friedliche Wohngebiete im Donbass. "Die Okkupanten
feuerten auf 49 Orte in den Regionen Donezk und Luhansk", hieß es. Der
Gouverneur des Gebiets, Pawlo Kirilenko, berichtete im Nachrichtenkanal
Telegram, dass "Russen fünf Bürger des Donbass getötet und vier weitere
verwundet" hätten.
Die ukrainische Armee hat nach eigenen Angaben
in dem Gebiet 60 russische Kämpfer getötet und fünf Panzer zerstört. Die
Angaben sind nicht unabhängig zu prüfen. Nach Angaben der Regierung
konnten einige Dutzend Bewohner aus beschossenen Orten in dem von Kiew
kontrollierten Teil des Donbass herausgebracht werden. Ukrainische
Medien berichteten zudem von Angriffen im Raum Charkiw.
Der
Gouverneur von Luhansk, Serhij Hajdaj, sprach von einer schwierigen Lage
in Sewerodonezk. Zwar habe man genug Mittel, um die Verteidigung zu
halten, sagte er. Es könne aber sein, dass sich das ukrainische Militär
aus taktischen Gründen zurückziehe. Russische Soldaten seien in der
Stadt.
Seinen Schätzungen zufolge halten sich in der Region Luhansk insgesamt 10.000 russische Soldaten auf. Das seien die Einheiten, die dauerhaft dort seien, die versuchten, anzugreifen und in jede Richtung vorzurücken, in die sie das könnten, sagte der Gouverneur im ukrainischen Fernsehen laut Reuters. Unabhängig überprüfen kann die Nachrichtenagentur diese Angaben nicht.
Britischer Geheimdienst erwartet Konzentration Russlands auf Lyman
Samstag früh hieß es, das
ukrainische Militär habe in den vergangenen 24 Stunden im Osten acht
russische Angriffe auf die Regionen Donezk und Luhansk abgewehrt.
Russische Artillerie habe unter anderem das Gebiet um die Stadt
Sewerodonezk attackiert - "ohne Erfolg", wie der ukrainische Generalstab
der Streitkräfte mitteilte.
Nach Einschätzung britischer Geheimdienste dürften sich die russischen Streitkräfte in der Ukraine auch in den kommenden Tagen auf die Kleinstadt Lyman als Knotenpunkt konzentrieren. Sollte es Moskau gelingen, die Stadt sowie die Region um die Großstadt Sewerodonezk unter seine Kontrolle zu bringen, werde der Kreml dies seinen Bürgern als wichtigen politischen Erfolg verkaufen, schreiben die Briten. Schon seit Beginn des Krieges veröffentlicht die britische Regierung in ungewöhnlich offener Art und Weise regelmäßig Geheimdienstinformationen zum Verlauf des Angriffskriegs. Moskau wirft London eine gezielte Desinformationskampagne vor.