Die Pläne der Bundesregierung zum Thema Mindestsicherung haben am Mittwochvormittag zu einer emotionalen Debatte im Wiener Gemeinderat geführt. SPÖ und Grüne haben in der “Aktuellen Stunde” noch einmal vor den – aus ihrer Sicht negativen – Folgen gewarnt. Auch die NEOS meldeten Bedenken an. FPÖ und ÖVP verteidigten naturgemäß die Vorhaben ihrer Kollegen auf Bundesebene.
SPÖ-Mandatar Kurt Wagner warnte, dass Schwarz-Blau das soziale Netz “stark durchlöchern” und “viele Menschen in Armut stürzen” werde. “Fast 60.000 Menschen werden direkt davon betroffen sein. Das sagen nicht wir, das sagen Experten”, wiederholte Wagner Zahlen, die Sozialstadtrat Peter Hacker (SPÖ) bereits am Montag in einer Pressekonferenz ausgeführt hatte.
Emotionale Debatte im Wiener Gemeinderat
Wagner unterstrich, dass die Mehrheit der Bezieher in Wien sogenannte Ergänzungsleistungen erhielten. Dabei handle es sich um Menschen in Arbeit, die allerdings ein zu geringes Einkommen erhalten, um davon leben zu können und deshalb Zuzahlungen aus der Mindestsicherung bekommen. Sozialhilfe als letzte Absicherung sei nicht zuletzt bedeutsam für den sozialen Frieden – und somit auch für jene Menschen, die auf derlei Unterstützung niemals angewiesen seien.
“Wir stellen uns genauso dagegen, wenn es um Kürzungen und Deckelungen geht”, sagte NEOS-Abgeordnete Bettina Emmerling. Sie plädierte für die Übernahme des Vorarlberger Modells für eine bundeseinheitliche Lösung. Schwarz-Blau betreibe stattdessen ein “Spiel mit dem Ressentiment” und der Ausländerfeindlichkeit. Dabei würden die Pläne auch Verschlechterungen für jene Personen bedeuten, in deren Namen man angeblich handle: “Sie stolpern über Ihren eigenen Populismus.” Die geplante Wartefrist für EU-Ausländer und die Änderungen bei der Familienbeihilfe für im Ausland lebende Kinder offenbare zudem die europafeindliche Haltung der Regierung – für die NEOS ein schlechtes Vorzeichen für die österreichische EU-Ratspräsidentschaft.
Birgit Hebein, Sozialsprecherin der Wiener Grünen, setzte auf eine Spur Aktionismus und brachte zwei Päckchen Windeln im Wert von 43 Euro mit. “Soviel bekommen Familien ab dem dritten Kind. Soviel ist Ihnen ein Kind wert”, empörte sie sich. Die Regierung wolle, dass allein in Wien 33.000 Kinder künftig in noch mehr Armut leben. “Vielleicht sollten Sie den Herzschlag dieser Kinder wieder einmal hören”, hoffte Hebein, das Herz von ÖVP und FPÖ doch noch erweichen zu können.
ÖVP und FPÖ hinter Mindestsicherung
“Das, was Frau Hebein hier abgezogen hat, ist echt eine Frechheit. Sie sind Vertreterin einer Partei, die Abtreibung auf Krankenschein will, und reden hier vom Herzschlag eines Kindes”, konterte FPÖ-Vizebürgermeister Dominik Nepp – eine Aussage, die Hebein mehrmals mit “Schämen Sie sich!”-Rufen quittierte. SPÖ und Grünen empfahl Nepp, mit den “linken Schauermärchen” aufzuhören: “Stephen King wäre wegen des Titels der Aktuellen Stunde sehr neidisch.” Es werde ein faires Grundgesetz geben. Wien könne ja etwas aufzahlen, aber er warne davor, so der Freiheitliche. Denn damit würde man nur die Schleppermafia, “das bestbezahlte Reisebüro der Welt”, unterstützen.
Der nicht amtsführende ÖVP-Stadtrat Markus Wölbitsch plädierte ebenfalls für ein Ende der “polemischen Panikmache”. Man solle die Fakten anschauen: 56 Prozent der Mindestsicherungsbezieher seien in Wien, es herrsche Handlungsbedarf. In der Bundeshauptstadt habe man sich davon verabschiedet, die Zahlungen nur als kurzfristige Überbrückung bis zum Wiedereinstieg in den Arbeitsmarkt zu betrachten. Dieses System werde vom Bund nun gewissermaßen repariert.
Laut aktuellen Zahlen aus dem Büro von Sozialstadtrat Hacker stehen von den per Mai registrierten 135.419 Mindestsicherungsbeziehern in Wien 58 Prozent (78.891 Personen) für den Arbeitsmarkt gar nicht zur Verfügung, weil sie entweder minderjährig, im Pensionsalter oder arbeitsunfähig sind. Darüber hinaus sind nur zwölf Prozent Vollbezieher, weitere 15 Prozent sind Dauerleistungsbezieher und Pensionisten mit Mietbeihilfe. Die restlichen 73 Prozent erhalten das Sozialgeld somit als Ergänzungszahlung.
APA/red