Regisseur Ong Keng Sen hat für die National Changgeuk Company of Korea ein neues altes Stück kreiert und Euripides’ “Troerinnen” – allerdings über den Umweg der Sartre-Bearbeitung – in eine traditionelle koreanische Oper verwandelt. Die Musik wurde von Jung Jae-Il neu geschaffen – und changiert, wie der ganze Abend, zwischen traditionellem Purismus und modernem Pathos, zwischen der akustischen Fremdheit fernöstlicher Harmonik und dem vertraut-süßlichen Sound elektronischer Untermalung.
Wiener Festwochen: Uroper, Wehklage und Melodrama bei “Trojan Women”
Immer wieder kehrt der Abend zum “Pansori” zurück, jener koreanischen Kunstform des späteren 17. Jahrhunderts, in der ein epischer Sologesang, begleitet nur von Perkussion, Oper im Basisformat schafft: maximaler Ausdruck, minimale Mittel. In der später entstandenen Ausweitung des “Pansori” zum Ensemblestück “Changgeuk” werden Rollen verteilt, ohne vom deklamatorischen Grundgestus abzuweichen: Dass Ong Keng Sen bei seiner Suche nach geeigneten Stoffen für eine Repertoire-Erweiterung dieser streng determinierten Theaterform auf die griechische Tragödie mit ihren drei Einheiten und der solistisch-chorischen Architektur gekommen ist, erscheint logisch.
Und so ist es vor allem die tiefe Verwandtschaft der theatralen Grammatik, und darin die fundamentale Einheit des menschlichen Leidens, der Wehklage als Urahn künstlerischen Ausdrucks und der Empathie als Urgrund des Zuschauens, die man aus diesem Abend mitnimmt. Der ästhetische Codewechsel in den Fernen Osten bildet nur die Oberfläche, eine Variation als sinnliche Spielerei, von dem die eigentlichen Themen kaum mehr als tangiert werden: der Krieg, die sinnlose Tapferkeit, die der Intrige zum Opfer gefallen ist, der Mord an einem kleinen Kind, vor dessen Blutlinie ein ganzes Volk abergläubisch zittert, die Kraft eines Fluches, der aus letzter Verzweiflung ausgestoßen wird. Euripides’ Gültigkeit in koreanischem Gewand – das ist das interkulturelle Kapital von “Trojan Women”.
Culture Clash bei “Trojan Women” im Theater an der Wien
Als Theaterabend für sich hat die Produktion des National Theater of Korea und des Singapore Festival of Arts, dessen Leiter Ong Keng Sen bis zum Vorjahr war, allerdings auch seine Schwachstellen. In die Grundzutaten von Singen, Trommeln, Tanzen, mit der minimalistischen Anordnung weiß bekleideter Frauen und roter Wollknäuel, des ebenso affektierten wie raffinierten Sprechgesangs und der mitunter spröden, aber gefangen nehmenden Melodik des koreanischen Hackbretts, vertraut der Regisseur letztlich nicht. Und die vermeintliche Aufwertung um Soundteppich und Lichteffekte, um Projektionen von Wellen, Wolken und Feuer, verpasst der authentischen Potenz der koreanischen Tradition einen billigen, synthetischen Beigeschmack. Aber vielleicht ist das ja der wahre Culture Clash des 21. Jahrhunderts.
“Trojan Women” von Ong Keng Sen, National Changgeuk Company of Korea
Weitere Termine am 17. und 18. Juni, 19.30 Uhr, Theater an der Wien
(APA/Red)