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Putin besucht Wien: Österreich als “Brückenbauer”

1-01-1970, 00:00

Bereits nach seiner Wahl zum Präsidenten führte sein allererster offizieller Staatsbesuch ins weiter entfernte Ausland Putin im Februar 2001 nach Österreich. 2014 war es Österreich, das Putin nach der völkerrechtswidrigen Annexion der ukrainischen Krim-Halbinsel als erstes Land die Bühne bot. Der Empfang in der Bundeshauptstadt war damals umstritten. Kritik kam von Menschenrechtsorganisationen, ukrainischen Vereinen, den Grünen, aber auch internationalen Politikern. “Man weiß, dass Putin die Europäische Union spalten will”, sagte etwa der schwedische Außenminister Carl Bildt. Kontakte mit Russland seien wichtig, doch sei dafür die EU zuständig, hieß es in Brüssel.

Die österreichische Politik vom damaligen Bundespräsident Heinz Fischer abwärts argumentierte mit der Brückenfunktion Österreichs. Es sei in der derzeitigen Situation wichtig, “Kanäle offen zu halten und miteinander zu reden”, sagte Fischer.

Auch wenn diesmal kaum Kritik laut geworden ist, so klingen die Botschaften doch gleich. Man müsse im Dialog mit Russland bleiben, sagte Bundespräsident Alexander Van der Bellen vergangene Woche in Estland. Gleiches betont man auch im Bundeskanzleramt. Bundeskanzler Sebastian Kurz führte die österreichische Neutralität und den Sitz internationaler Organisationen in Wien als Argumente an, warum sich Österreich entgegen der Mehrheit der EU-Staaten entschieden hat, im Zuge der Skripal-Affäre keine russischen Diplomaten auszuweisen.

Mordanschlag auf Skripal

Der Giftanschlag auf den russischen Doppelagenten Sergej Skripal in England, für den Großbritannien Moskau verantwortlich macht, hat das Verhältnis zwischen der EU und Russland stark verschlechtert. Dabei schienen die Beziehungen seit Beginn des Ukraine-Konflikts 2014 ohnehin schon vergiftet. Später kamen unter anderem Vorwürfe von russischer Einmischung in westliche Wahlen und Spaltungsversuchen in Europa hinzu. Auch dass Russland an der Seite des syrischen Machthabers Bashar al-Assad steht und kämpft, selbst wenn dieser Giftgas gegen sein Volk einsetzt, wird in westlichen Regierungen wenig goutiert.

Gleichzeitig führt die aktuelle Politik der USA dazu, dass die EU und Russland in anderen Bereichen kooperieren müssen – etwa nach den Entscheidungen von Präsident Donald Trump zur Einführung von US-Strafzöllen oder zum Ausstieg aus dem Atomabkommen mit dem Iran. “Trump sorgt auf jeden Fall dafür, dass die Europäische Union und Russland wieder vermehrt über andere Themen als nur über die Ukraine sprechen und sich gegen die US-Politik verbünden müssen. Er treibt sie zwar nicht geradezu in die Arme Putins, denn dafür gibt es noch zu viele Differenzen in anderen Bereichen”, sagte der Russland-Experte Stefan Meister dem Schweizer Rundfunk (SFR). “Aber die Europäer sehen, dass sie zurzeit neben dem Iran auch bei Handels- oder Energiefragen mehr Gemeinsamkeiten mit Russland haben als mit den USA unter Trump.”

Dementsprechend hat Putin seit seiner Wiederwahl schon viele ausländische Staatsgäste empfangen: Die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel in Sotschi oder Frankreichs Präsident Emmanuel Macron in St. Petersburg. Aber auch “Österreich ist für ihn zu diesem Zeitpunkt wichtig”, erklärt Meister, Leiter des Robert-Bosch-Zentrums der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik, gegenüber der APA. Als Gründe nannte der Experte: “Da es im Moment um die finalen Entscheidungen für Nord Stream 2 geht und er in Österreich mit der aktuellen Regierung eher einen Partner sieht, der sehr ‘russlandfreundlich’ ist”.

Österreichs Unterstützung für Russland

Österreich unterstützt das umstrittene Pipeline-Projekt, das Gas über die Ostsee nach Europa bringen soll – vorbei an der mit Russland verfeindeten Ukraine. Seine Unterstützung für Nord Stream 2 hat Bundeskanzler Kurz bei seinem Besuch in Moskau Ende Februar bekräftigt. Putin nutzte die Visite, um sein Land als pakttreuen Partner zu präsentieren. Russland habe bewiesen, seit 50 Jahren zuverlässiger Energielieferant zu sein, sagte Putin in einer gemeinsamen Pressekonferenz. Es handelte sich um die erste Reise des Bundeskanzlers ins EU-Ausland.

Russische Medien feierten den Besuch damals als symbolisch. “Sebastian Kurz ist genau der Gast, den der Kreml vor der Präsidentenwahl brauchte”, schrieb etwa die liberale Moskauer Boulevardzeitung “Moskowski Komsomolez”. Kurz sei “Europäer, was symbolisiert, dass Putin weiterhin nicht nur im Osten erfolgreich Kontakte pflegt, sondern auch im Westen”. Kurz sei ein Verfechter von Nord Stream 2 und ein “überzeugter Gegner” der Sanktionen gegen Russland. Offen für eine Abschaffung der Sanktionen tritt tatsächlich die FPÖ ein, die einen Kooperationsvertrag mit der Kreml-Partei Einiges Russland hat.

Die Sanktionen, die von den EU-Staaten in Halbjahres-Abständen verlängert werden müssen, gelten derzeit bis 31. Juli. Dann hat Österreich die EU-Ratspräsidentschaft inne. Dass die Zwangsmaßnahmen sehr bald Geschichte sind, glaubt allerdings nicht einmal Russland. Moskau erwarte eine Aufhebung “nicht sofort”, sagte der russische Botschafter Dmitry Ljubinskij im APA-Gespräch. Und er betonte: “Wir schätzen die verantwortungsvolle Position Österreichs zu Fragen der internationalen Tagesordnung.”

Politiker zwischen Ost und West

Als “Brückenbauer” zwischen Ost und West versuchen sich österreichische Politiker schon seit den 1950er-Jahren zu positionieren. Dass dies mitunter ein Balanceakt ist, beweist ein Dialog zwischen dem früheren Außenminister Bruno Kreisky und Kreml-Chef Nikita Chruschtschow, der in der Neuerscheinung des Historikers Stefan Karner “Österreich – Russland. Stationen gemeinsamer Geschichte” wiedergegeben ist. Chruschtschow beschwert sich dabei, dass Kreisky “der Verteidiger des Westens” sei. Kreisky erwiderte, er “verteidige die Neutralität. Ich balanciere.” Und er berichtete: “Die westlichen Länder beschweren sich, dass wir der Sowjetunion in zu hohem Maße zugeneigt sind.”

Chruschtschow traf im Juni 1961 mit dem damaligen US-Präsidenten John F. Kennedy in Wien zusammen. Es galt damals die Kriegsangst zu bannen. Doch Chruschtschow kam nicht nach Wien, um mit Kennedy ernsthaft zu verhandeln, sondern um ihn zu demütigen. Der militärische Status quo wurde einbetoniert: Die Berliner Mauer wenig später gebaut. 1979 wurde Wien wieder zu einem Ort für ein Gipfeltreffen der beiden mächtigsten Männer der Welt. Das Treffen zwischen Leonid Breschnew und Jimmy Carter war erfolgreicher. Der SALT-II-Vertrag zur Begrenzung von Atomwaffen wurde unterzeichnet.

Russische und US-Medien berichteten am Wochenende über Vorbereitungen für ein Treffen zwischen Trump und Putin. Ort und Zeit stünden demnach noch nicht fest. Doch Bundeskanzler Kurz hat schon vor Monaten sein Interesse an einem solchen Gipfel in Österreich bekundet. Wie die Chancen dafür stehen, ist unklar. Ein Vermittlungsangebot Österreichs im Syrien-Krieg wurde von Russland unlängst ausgeschlagen.

Karner: Österreich hat als Brückenbauer Anerkennung

Österreich positioniert sich seit langem als Brückenbauer zwischen dem Westen und Russland, was mitunter ein Balanceakt ist. Schon Bruno Kreisky wurde 1960 als Außenminister von Seiten des Westens und der Sowjetunion kritisiert, der jeweils anderen Seite zu nahe zu stehen.

“Der Kritik, der sich damals Kreisky ausgesetzt sah, ist auch die jetzige Bundesregierung ausgesetzt. So erging es auch den Schweden im Kalten Krieg. Dennoch haben sich beide als Brückenbauer Anerkennung verschafft”, sagte der Historiker Stefan Karner im Vorfeld des Besuchs des russischen Präsidenten Wladimir Putin am Dienstag in Wien gegenüber der APA. Der Balanceakt entsprach “der langen neutralitätspolitischen Linie” der österreichischen Außenpolitik. “Österreich versucht daran anzuknüpfen, ohne die Solidarität in der EU infrage zu stellen.”

Die Brückenfunktion konnte und kann Österreich aufgrund der Neutralität einnehmen, dazu kam die geografische Lage: “für den Westen weit im Osten gelegen – Wien ist östlicher als Prag -, für den Osten tief im Westen, dennoch immer der westlichen Wertehaltung, dem westlichen Wirtschaftssystem verbunden”, erklärte Karner, der gemeinsam mit Alexander Tschubarjan Vorsitzender der Österreichisch-Russischen Historikerkommission ist.

Wirtschaftsgeflecht zwischen Russland und Österreich

Der Verweis von Außenministerin Karin Kneissl (FPÖ) auf Österreichs Rolle als Sitz von internationalen Organisationen wie der UNO und der Tradition als Ort der Zusammenkunft wie dem Gipfel zwischen dem damaligen Kreml-Chef Nikita Chruschtschow und Ex-US-Präsident John F. Kennedy 1961 als Begründung für das Verhalten Wiens in der Skripal-Affäre findet Karner “im Wesentlichen okay”. Dazu komme das “nicht unbedeutende” Wirtschaftsgeflecht zwischen Russland und Österreich, “vor allem strategisch. Es wäre töricht, Russland im internationalen Kräftespiel nicht entsprechend zu beachten. Bei Vorverurteilungen, zumal in so delikatem Umfeld ist doppelte Vorsicht geboten”, meinte der Universitätsprofessor sowie Gründer und langjährige Leiter des Ludwig-Boltzmann-Instituts für Kriegsfolgenforschung.

Als Gipfelort kam 1961 nur ein neutraler Boden infrage, berichtete Karner weiter. “Die Sowjets schlugen Stockholm oder Wien vor. Nach Schweden wären die Amerikaner damals nicht gegangen. Nach Helsinki wohl auch nicht.” Österreich sei “wegen seiner neutralen Politik für beide Seiten akzeptabel” gewesen. “Eben der Brückenbauer.”

“Kennedy war neu im Amt. Viele rieten ihm vom Gipfel ab: er und die USA könnten ihr Gesicht verlieren. Chruschtschow noch eine Nummer zu groß für den unerfahrenen, jungen Präsidenten.” Weltpolitisch stand damals viel auf dem Spiel: “Chruschtschow drohte die Berlin-Frage einseitig zu lösen, zündelte unentwegt. Dazu Indochina, Laos, Afrika und die atomare Hochrüstung, die es abzubauen galt.”

Putins Besuch in Wien

Der Gipfel brachte keinen großen Wurf: “Wien machte die Welt weder besser noch schlechter”, erzählte Karner. “Aber man kann durchaus mutmaßen, ob Berlin oder Kuba 1962 eskalieren hätte können, hätte man sich nicht auch persönlich gekannt. Die direkte Kommunikation, die man in Wien vereinbart hatte, sollte sich bald bewähren und Schlimmes verhindern. Schon im Jahr darauf, in Kuba, als die Welt vor einem Atomkrieg stand.”

Vom Besuch Putins in Wien erwartete Karner “sehr viel”: “Vor allem wirtschaftlich die Aufhebung russischer Beschränkungen für österreichische Handelswaren. Der Besuch wird genau beobachtet werden”, sagte er.

Putins erster Staatsbesuch ins weiter entfernte Ausland führte ihn im Februar 2001 nach Österreich. “Putin hat unser Land bei verschiedenen Gelegenheiten kennengelernt, privat und dienstlich, noch bevor er Präsident wurde”, sagte Karner. “Er kennt und schätzt unsere Mentalität, unsere Kultur, hat in Österreich etliche Freunde. Strategisch kann er unsere neutrale Position ausnützen, bei wirtschaftlichen Projekten und außenpolitisch”.

Besondere Beziehung zwischen Putin und Österreich

Karner bejahte die Frage, ob Putin eine besondere Beziehung zu Österreich habe. “Ebenso wie auch zu Deutschland. So wie ich ihn zweimal anfangs der 2000er-Jahre, als er noch jung im Amt war, persönlich erlebt habe, war er ein ‘Deutscher’ im Kreml. Nicht nur, dass er sehr gut deutsch spricht, nein, er wollte eine starke Achse Moskau – Zentraleuropa, Russland – EU. Strategisch als Gegengewicht zu den USA und zu China.”

Die EU habe Putin “immer wieder die Tür vor der Nase zugeschlagen”, meinte Karner. “Die langsame Hinwendung zu China war meines Erachtens kein primäres Ziel von ihm. Eher als Drohung gegenüber Brüssel gedacht.”

Die Beziehungen zwischen Österreich und Russland bezeichnete Karner als “konstruktiv, getragen von Vertrauen und gegenseitiger Wertschätzung”. Die russisch-österreichische Historikerkommission hatte vor kurzem das Buch “Österreich – Russland. Stationen gemeinsamer Geschichte” vorgestellt, das von russischen und österreichischen Autoren gemeinsam verfasst worden war.

Bei der Entstehung des Buches waren auch Kompromisse nötig, berichtete Karner. “Da ging es um Details, um Übersetzungsfragen, um einzelne Formulierungen, etwa in der Kriegsschuldfrage des Ersten Weltkrieges, in den Formulierungen zur Roten Armee in Österreich, zur sowjetischen Besatzungspolitik zwischen 1945 und 1955.” Die gemeinsam gefundenen Formulierungen zeugten “von einer hohen wissenschaftlichen Gesprächskultur und dem Willen auf beiden Seiten, auch eigene, festgefahrene Positionen infrage zu stellen. Dies zeichnet das Buch, neben vielem Anderen, wirklich aus”.

APA/red

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