Seitdem Charlize Theron in “Monster” mit Zusatzgewicht und übel geschminkt eine Massenmörderin spielte, bewundern sie viele als Schauspielerin, die für eine Rolle alles gibt. Das gilt auch für “Tully”: Um den Alltag einer dreifachen Mutter möglichst realistisch zu zeigen, verzichtet die Südafrikanerin erneut auf geglättetes Make-up und hat zwanzig Kilo zugenommen. Ab Donnerstag im Kino.
Tully: Kurzinhalt zum Film
Theron spielt Marlo, eine Anfangvierzigerin, die mit ihrem immer leicht abwesenden, aber grundguten Mann Drew (Ron Livingston) und ihren zwei Kindern in einem Vorort von New York wohnt. Spätestens als zur achtjährigen Sarah und dem Anzeichen von Autismus zeigenden Vorschüler Jonah noch ein Baby kommt, ist Marlo endgültig überfordert. Ihr Unternehmerbruder (Mark Duplass) hat die rettende Idee und schenkt ihr eine “Night Nanny”, ein Kindermädchen, das abends ins Haus kommt, nachts über das Kind wacht und Marlo nur weckt, um es ihr an die Brust zu legen. Zunächst zögert sie, doch als die freigeistige Hipster-Mary-Poppins Tully (Mackenzie Davis, deren unfassbar natürliche Chemie mit Theron den Film erst wirklich zum Scheinen bringt) vor der Tür steht, wird sie schnell zur unverzichtbaren Hilfe und besten Freundin.
Tully: Kritik zum Film
Mit einem schlechteren Team wäre diese Geschichte zur schlichten Selbstverwirklichungsstory einer letztlich doch erstaunlich privilegierten Familie geworden. Doch nicht nur das gute Ensemble, sondern auch das Team hinter der Kamera stellen sicher, dass hier eine manchmal witzige, aber immer aufrichtige Story erzählt wird. Drehbuchautorin Diablo Cody und Regisseur Jason Reitman arbeiten hier zum dritten Mal zu einem ähnlichen Thema zusammen – nach der Teenager-Schwangerschafts-Tragikkomödie “Juno” und dem Quarterlife-Crisis-Werk “Young Adult” hat auch “Tully” interessante Dinge über die Rolle (un)gewöhnlicher Frauen in unserer Gesellschaft zu sagen.
Im Kern geht es erneut um die Frage, wie wir mit unseren Träumen umgehen und warum wir uns so selten erlauben, was uns eigentlich gut tun würde. “Tully” geht dem mit klugen Gags, einem großen Herz und spannenden Wendungen nach – es lohnt sich, die Namen im Abspann noch einmal genau zu verfolgen und auf dem Heimweg darüber zu diskutieren, wie viel schwerwiegender der Film durch sein letztes Drittel wird.
Und Theron? Vielleicht ist es 15 Jahre nach “Monster” an der Zeit, ihr endgültig Anerkennung für ihre unfassbare Wandelbarkeit auszusprechen. Egal ob mit Glatze in der Wüsten-Action von “Mad Max”, als Extrem-Spätpubertierende in “Young Adult” oder jetzt in “Tully”: Ihre Oscar-Rolle in “Monster” war kein Ausrutscher. Hier blickt sie nach der Geburt verschwitzt desillusioniert durch den Kreißsaal, legt extrem viel in einen sehnsüchtigen Blick zu ihrer neuen Freundin oder sitzt nur im BH bekleidet am Abendbrottisch – und hat dabei genau die Figur, die man kurz nach der Geburt eben hat. Theron veredelt hier mit viel Wärme und schauspielerischer Brillanz die Schwächen einer manchmal etwas thesenhaften Personenkonstellation, und so wird dieser kleine, kluge Film wirklich herausragend.
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(APA/Red)