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Sozialversicherung: Kritik an Regierungspläne

1-01-1970, 00:00

SPÖ-Gesundheitssprecherin Pamela Rendi-Wagner konstatierte die wohl “größte Umfärbeaktion der Zweiten Republik”. Der Regierung gehe es nicht um die Gesundheit der Menschen, sondern um eine Verschiebung der Macht innerhalb der Sozialversicherung von den Arbeitnehmern hin zu den Arbeitgebern, meinte Rendi-Wagner. Die angekündigte Milliarde kann ihrer Ansicht nach nur am Rücken der Patienten durch Kürzungen der Leistungen eingespart werden, weil die gesamten Verwaltungskosten der Kassen nur bei knapp 500 Mio. Euro liegen. Auch SPÖ-Bundesgeschäftsführer Max Lercher meinte, Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) wolle die Kassen den Unternehmen schenken.

Die NEOS sehen in der angekündigten Reform nur einen “Marketing-Gag”. Sozialsprecher Gerald Loacker vermisst sowohl die Einhebung der SV-Beiträge durch das Finanzamt als auch eine tatsächliche Neuaufstellung der Sozialversicherungen. Und weil die Regierung die Privilegien der Beamten weiter schütze, werde die größte Ungerechtigkeit im System gefestigt. Dass die 15 Krankenfürsorgeanstalten unangetastet bleiben, hält Loacker für einen Kniefall vor den Ländern.

Ebenso wie die SPÖ fürchtet auch die Liste Pilz Leistungseinschränkungen für die Versicherten. Wenn die Einsparungen auch durch Harmonisierungen erreicht werden sollen, müssten großzügigere Kassen ihre Leistungen auf das Niveau anderer senken, meinte Gesundheitssprecher Peter Kolba. Die Liste Pilz sammelt im Internet (http://www.buergerrechte.online) Beschwerden über sichtbare Einsparungen im Gesundheitssystem.

Reform für “Therapieverweigerer”

Bei der Präsentation der Sozialversicherungsreform überboten sich die Regierungsvertreter quasi gegenseitig mit Superlativen: Für Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP) handelt es sich um “eines der größten Reformprojekte in der Geschichte Österreichs”. Die Sozialversicherung sei der “bestuntersuchte Patient, der bis dato ein völliger Therapieverweigerer” gewesen sei, unterstrich Vizekanzler Heinz-Christian Strache (FPÖ) die Notwendigkeit einer Reform.Wien. Jahrzehntelang sei darüber diskutiert worden, ob es nicht sinnvoll wäre, die Zahl der Krankenkassen zu reduzieren, aber die Reform habe nie stattgefunden, meinte Kurz bei der Pressekonferenz. “Wir setzen um, was wir angekündigt haben und setzen diese notwendige Reform endlich durch.” Es handle sich nicht um eine Gesundheitsreform, sondern um eine Struktur- und Verwaltungsreform, betonte er.

Vieles, was von “Gegnern” der Umstrukturierung in Umlauf gebracht worden sei, stimme nicht, meinte Kurz: Dass man Spitäler schließe, Leistungen kürze oder eine Umfärbung stattfinde, “all diese Aussagen sind nicht richtig”. Man versuche, das “aufgeblähte System” zu vereinfachen. “Verlierer dieser Reform sind definitiv die Vertreter des Systems”, verwies Kurz auf die geplante Reduktion von Funktionären und Generaldirektoren.

Auch Strache hob in seinem ausnehmend ausführlichen Statement diesen Punkt hervor und sprach von einer “sehr dicken Suppe mit vielen Köchen”, die “nicht notwendig” seien. In die “überbordende Verwaltung” fließe zu viel Geld, befand er. Das derzeitige System sei aber nicht fair und nicht zeitgemäß. “Soziale Sicherheit ist die Grundlage der Demokratie”, meinte auch Gesundheitsministerin Beate Hartinger-Klein (FPÖ), “wir sichern ein faires, gerechtes Sozialversicherungssystem”.

1 Milliarde Euro einsparren

Bis 2023 werde man eine Milliarde Euro einsparen, versprach die Regierung. Wie genau diese Summe zustande kommt, wurde aber auch auf Nachfrage nicht konkret erläutert. Die von der AUVA verlangten 500 Millionen Euro an Einsparungen seien darin jedenfalls nicht enthalten. Hartinger-Klein verwies etwa auf Einsparungen durch einen zentralen Einkauf oder ein zentrales IT-Rechenzentrum.

Aus 21 Sozialversicherungsträgern sollen jedenfalls maximal fünf werden – “ein sozial- und gesundheitspolitischer Meilenstein”, wie Hartinger-Klein findet. Dass es regionale Unterschiede bei den Leistungen gibt – was Strache als “Zwei-Klassen-Medizin” geißelte -, soll in Zukunft der Vergangenheit angehören. “Österreichweit gleiche Leistungen für gleiche Beiträge” sei das Ziel, erklärte Hartinger-Klein. Auch strebe man einen Ausbau der Kassenärzte und längere Öffnungszeiten bei den Ärzten an. Für Ärzte solle die Reform einen Gesamtvertrag mit Zuschlägen in Regionen, in denen man schwer Landärzte findet, bringen. “Wir schaffen eine neue soziale Gerechtigkeit für die Menschen in diesem Lande”, frohlockte auch ÖVP-Klubobmann und -Sozialsprecher August Wöginger. “Wir sparen eindeutig im System und nicht bei den Menschen”, bemühte er ein Mantra der Koalition.

Offen blieb allerdings trotz mehrmaliger Nachfrage, auf welchem Niveau die geplante Leistungsharmonisierung vonstattengehen wird. Gleiche Leistung für gleiche Beiträge gelte innerhalb eines Trägers, erklärte Wöginger. Die derzeitigen Selbstbehalte, etwa bei den Beamten, bleiben bestehen. In den nächsten Jahren sei ein Gesamtärztevertrag auszuarbeiten. Hartinger-Klein meinte zum Schluss noch vage, dass die Leistungsharmonisierung “Sache der Selbstverwaltung” sei.

APA/red

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