Die Unschuld vom Land und ihre Dämonen: “Thelma” des Norwegers Joachim Trier läuft am 10. Mai im Kino an. Was als Coming-of-Age-Geschichte beginnt, nimmt bald eine düstere Wendung in ein Wurmloch aus Moral, Religion und Wahn, aus dem es kein Entkommen gibt.
Thelma: Kurzinhalt zum Film
Ein Mann geht mit seiner kleinen Tochter auf die Jagd. Im verschneiten Wald schwenkt er seine Waffe weg vom Wild – und zielt auf den Kopf des Mädchens, um dann doch nicht abzudrücken. Welches Drama sich hinter dieser befremdlichen Szene verbirgt, wird erst im Lauf des knapp zweistündigen, aber an keinem Punkt Längen aufweisenden Mysteryfilmes klar.
Jahre später. Thelma (Eili Harboe), die unbedarfte Unschuld vom Land, zieht nach Oslo, um an die Uni zu gehen. Studentische Lockerheit, Wein trinken, rauchen, Party machen – alles Neuland für sie. Die abendlichen Kontrollanrufe des tief religiösen, überbesorgten Vaters gestalten sich oft wie ein Beichtgespräch. Er beherrscht es, ihr Schuldgefühle zu machen. Bei belanglosen Dingen flunkert sie – “Ja, ich habe selbst Gemüsesuppe gekocht, kein Fast Food gegessen” -, aber als sie sich in eine Kommilitonin verliebt, geraten ihre Gefühle in Konflikt mit den ihr anerzogenen Moralvorstellungen.
Dieser innere Widerstreit setzt Fähigkeiten in Thelma frei. Sie kann Dinge geschehen lassen. Ihr Wesen und ihre Existenz verstoßen gegen die angeblich geltende Weltordnung. Jeder mag in ihr etwas anderes sehen – eine psychisch Kranke, eine übersinnliche dunkle Macht oder einfach einen neuen Evolutionsschritt. Der Ansatz ihres Vater, den Dämonen seiner Tochter mit Gebeten und Medikamenten einen ausbruchssicheren Käfig zu zimmern, ist jedenfalls zum Scheitern verurteilt. Und wer sagt eigentlich, dass unheimliche Fähigkeiten per se böse sind?
Thelma – Kritik zum Film
Die Bilder sind dunkel, die Musik düster, Regisseur Joachim Trier spart nicht mit Symbolen und Allegorien – von den Unheil bringenden Vogelschwärmen über die sündige Schlange bis hin zum reinigenden Feuer. Manchmal trägt er dabei etwas dick auf, dennoch wirkt der Film dank seiner sehr ästhetischen, nordisch kühlen – einfach schönen – Bildsprache nicht überladen, sondern bis ins Detail gut abgestimmt. Die Kameraperspektive mit ihren vielen Totalen aus der Luft macht die Kontrolle deutlich, der das Mädchen ausgesetzt ist, die sparsamen Dialoge ihre innere Isolation. Bei den Oscars ging der Streifen für Norwegen in der Kategorie “Bester fremdsprachiger Film” ins Rennen, wurde aber nicht nominiert – eigentlich schade.
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(APA/Red)