Dass die Sozialdemokraten vom Wiener Alsergrund einen Shitstorm auslösen würden, war ja zu erwarten: Die Forderung, Ausländern nach drei Jahren in Österreich ein Wahlrecht zu gewähren, konnte nicht gut ankommen. Zu groß sind die Vorbehalte. Die FPÖ werde nicht zulassen, dass SPÖ und Grüne jetzt auch noch ausländische Staatsbürger „unsere Zukunft mitentscheiden lassen, da ihnen die Masseneinbürgerungen offenbar zu lange dauern“, wetterte FPÖ-Stadtchef Johann Gudenus.
Dabei würde sich eine sachliche Auseinandersetzung über die Fragestellung lohnen: Spricht denn wirklich alles gegen ein Wahlrecht für alle? Zunächst einmal ist es sinnvoll, sich ein Bild von den Dimensionen zu machen: In Wien leben etwas mehr als eineinhalb Millionen Menschen ab 16. Die österreichischen Staatsbürger unter ihnen dürfen in der Regel wählen; das sind 1,14 Millionen. Bleiben 445.000 übrig; knapp eine halbe Million: Das sind Fremde, die in der Regel nicht wählen dürfen.
Ist das okay so? Ja und nein: Wahlrecht bedeutet, zumindest indirekt über die gesellschaftlichen Verhältnisse mitzubestimmen, die letztlich jeden Einzelnen betreffen. Bei Parlamentswahlen hat man die Möglichkeit, eine Partei zu unterstützen, von der man annimmt, dass sie z.B. das Bildungssystem, Strafrechtsbestimmungen oder das Sozialwesen am ehesten so zu gestalten versucht, wie man sich das vorstellt. Von da her wäre es naheliegend, dass jedes mündige Mitglied der Gesellschaft mitreden darf.
Es gibt jedoch eine Grenze: Das Wahlrecht ist mit der Staatsbürgerschaft verknüpft; und diesem Recht stehen auch Pflichten gegenüber. Wie jenes der Männer, einen Präsenz- oder Zivildienst zu absolvieren. Soll heißen: Wenn, dann kann es nur eine volle Gleichstellung geben. Und die gibt es eben erst mit der Staatsbürgerschaft.
Zumindest auf einer Ebene gibt es jedoch gute Gründe, davon abzuweichen: Bei den Bezirksvertretungswahlen nämlich. Daran dürfen sich schon heute Bürger aller übrigen EU-Mitgliedsländer beteiligen. Warum dieses Recht also allen verbleibenden Ausländern gewähren? Darum: In den Bezirken werden keine Gesetze beschlossen. Dort geht es ausschließlich darum, das unmittelbare Zusammenleben zu beraten und etwa Vorschläge zur Lösung von Verkehrsproblemen zu entwickeln; oder Maßnahmen, die der Sicherheit der Bewohner dienen; oder der Bewältigung sozialer Konflikte. Da ist es doch vernünftig, wenn alle an Bord sind.
Ja, auf Bezirksebene könnte vor diesem Hintergrund ein Wahlrecht für alle sogar sehr nützlich sein: Es würde helfen, die Entwicklung von Parallelgesellschaften einzubremsen; es würde den Austausch zwischen In- und Ausländern fördern; und es würde dazu beitragen, dass sich Ausländer stärker einbringen. Sie würden durch das Recht sogar ein Stück weit in die Pflicht genommen werden: Wer von anderen etwas will, muss sich schließlich einbringen; sonst bleibt er übrig.
Johannes Huber betreibt den Blog – Analysen und Hintergründe zur Politik.