
"Plötzlich keine Brüder mehr" – "NASA-Zwillinge sind jetzt genetisch keine Zwillinge mehr": So klingen nur zwei der Schlagzeilen zu – vorläufigen – Ergebnissen einer Zwillingsstudie der US-Weltraumbehörde NASA: Scott Joseph Kelly war ab März 2015 knapp ein Jahr an Bord der Internationalen Raumstation (ISS), um die Auswirkungen der Schwerelosigkeit auf den Körper zu testen. Sein eineiiger Zwillingsbruder Mark, ebenfalls NASA-Astronaut, blieb als "Kontrollperson" auf der Erde. Mit beiden wurden vor Scotts Weltraumeinsatz zahlreiche Tests gemacht, von beiden biologische Proben genommen – um nachher Vergleiche ziehen zu können.
Foto: AP/Pat Sullivan Scott (li.) und Mark Kelly im März 2016, nach dem Jahr von Scott im All Eine einmalige Möglichkeit, denn noch nie gab es in der Geschichte der Raumfahrt eineiige Astronautenzwillinge. Vor Kurzem gab die NASA bekannt: Bei Scott wurden nicht nur erhöhte Entzündungswerte und versteifte Arterien gefunden: Auch bei einigen Hundert seiner insgesamt 23.000 Gene – insgesamt sieben Prozent – zeigten sich gegenüber seinem Zwillingsbruder Veränderungen. Auch unterschiedliche Mutationen sind entstanden – ein Teil davon möglicherweise durch den Aufenthalt im All, aber das muss erst durch weitere Forschungen geklärt werden.
What? My DNA changed by 7%! Who knew? I just learned about it in this article. This could be good news! I no longer have to call my identical twin brother anymore.
— Scott Kelly (@StationCDRKelly)
"Was? Meine DNA hat sich verändert?", schriebt Scott Kelly auf Twitter, als er davon erfuhr. "Das könnten gute Nachrichten sein. Ich muss jetzt Mark nicht mehr länger als meinen identischen Zwillingsbruder bezeichnen."
Doch so ist es nicht. Denn Genetiker weisen Berichte, wonach Scott Kellys DNA jetzt völlig unterschiedlich von der seines Bruders wäre, zurück. "Die Verwendung der Erbsubstanz hat sich vor allem verändert – das war das Wesentliche", sagt der Genetiker Univ.-Prof. Markus Hengstschläger von der MedUni Wien. Eineiige Zwillinge haben – nach der Teilung der befruchteten Eizelle – das identische Erbgut. Danach gibt es zwei Prozesse, sagt Hengstschläger:
Foto: KURIER/Gilbert Novy Genetiker Univ.-Prof. Markus Hengstschläger
Foto: AP/Bill Ingalls Scott Kelly im März 2016 nach seiner Rückkehr von der ISS Doch zu solchen Veränderungen kommt es auch, "wenn ein eineiiger Zwilling eine Weltreise macht und der andere zu Hause bleibt". Oder einer fastet oder eine Infektion hat – und der andere jeweils nicht.
"Ich finde die NASA-Untersuchungen spannend", sagt Hengstschläger: "Aber interessanter als die Zahl der sieben Prozent an Genen mit unterschiedlicher Aktivität ist die Frage: Welche dieser Änderungen sind wirklich eindeutig auf die Bedingungen im Weltall zurückzuführen? Daraus könnte man dann lernen, wie sich der Körper an solche extremen Bedingungen anpasst." Und: Mark und Scott sind weiterhin Zwillinge – auch genetisch.
