
Ist heute von Diabetes die Rede, denkt man im Wesentlichen an zwei Formen: Den meist schon im Kindesalter auftretenden Typ-1 (körpereigener Insulinmangel durch Angriff des Immunsystem auf die insulinproduzierenden Zellen) und den klassischen Typ-2 (immer geringere Insulinwirkung) – siehe auch die nachstehende Grafik:
Foto: /Grafik Eine Gruppe schwedischer und finnischer Forscher hat jetzt für eine im Fachmagazin erschienene Studie die Daten von knapp 15.000 Patienten analysiert. Ihr Schluss: Mit dem Begriff "Diabetes" lassen sich in Wahrheit fünf verschiedene Krankheiten beschreiben.
So gebe es eine bisher wenig beachtete Gruppe junger und schlanker Patienten, die ähnlich wie die Typ-1-Diabetiker an einem schweren Insulinmangel leiden, bei denen aber nicht das Immunsystem involviert ist. Diese Gruppe zum Beispiel würde oft nicht ausreichend therapiert werden – und häufig kein Insulin erhalten.
Foto: KURIER/Gerhard Deutsch Diabetologin Alexandra Kautzky-Willer
"Das sehe ich nicht so. Es ist bekannt, dass es Zwischenstufen gibt und hier individuelle Therapien notwendig sind", sagt Univ.-Prof. Alexandra Kautzky-Willer, Diabetologin am AKH / MedUni Wien und Präsidentin der Österreichischen Diabetesgesellschaft (ÖDG). "Das ist bei uns schon seit vielen Jahren ein Thema. Deshalb lautet auch das Motto unserer nächsten Jahrestagung im November ,Die vielen Gesichter des Diabetes‘." Die Spezialistin nennt zwei Beispiele:
Schon jetzt seien überdies weitere Diabetes-Typen definiert:
"Wir behandeln ja nicht nur den Blutzucker", betont Kautzky-Willer, "sondern schauen uns viele Werte des Patienten an. Dadurch erkennen wir relativ rasch, wenn jemand kein klassischer ,Einser‘ oder ,Zweier‘ ist". Überdies seien in den vergangenen Jahren neue Medikamentengruppen zugelassen worden: "Diese Vielfalt an Therapien ermöglicht es uns, für jeden, also auch Misch- und seltene Formen, die richtige Behandlung zu finden."
"Der starke Anstieg der Patientenzahlen übersteigt vielerorts die Kapazität der Gesundheitssysteme", sagt Gilles Litman. Er leitet beim französischen Pharmakonzern Sanofi den Bereich "Integrierte Versorgung" und war kürzlich in Wien. "Damit meinen wir alles, was über die Medikamente hinausgeht", so Litman.
Sanofi hat mit der Google-Biowissenschaftsfirma Verily Life Science ein Gemeinschaftsunternehmen gegründet. In den USA wurde im Jänner das Projekt einer "virtuellen Diabetes-Klinik" gestartet. "Hier sollen die Patienten zwischen zwei Arztbesuchen mittels Telemedizin Unterstützung bekommen."
Einerseits werden an diese digitale Plattform automatisch die Blutzuckerwerte übermittelt. Sanofi entwickelt Insulinpens, die mit dem System verbunden sind und zum Beispiel Zeitpunkt und Dosis der einzelnen Verabreichungen einspeisen. "Damit erkennt man sofort, wie genau ein Patient die empfohlene Therapie auch umsetzt."
Foto: /Sanofi/Christian Husar Gilles Litman will Telemedizin-Projekte vorantreiben. Auf Grund seiner Daten – etwa Blutzuckerwerte, körperliche Aktivität, Ernährung – soll der Patient auch automatisierte Empfehlungen für Dosisanpassungen bekommen. Und er soll die Möglichkeit haben, mit einem Experten telefonisch persönlich Kontakt aufzunehmen bzw. auch unverlangt Rückmeldungen mit Empfehlungen für die Therapieeinstellung zu bekommen. "Das ist kein Ersatz für den Arzt, aber in Regionen mit großem Medizinermangel könnte so eine virtuelle Klinik Vorteile für Arzt und Patient haben", sagt auch Sanofi-Österreich-Geschäftsführerin Sabine Radl.
"Telemedizin ist sicher zukunftsträchtig, es gibt auch in Tirol bereits ein Pilotprojekt", sagt die Diabetologin Alexandra Kautzky-Willer: "Studien zeigen, dass so etwas aber nur gemeinsam mit Diabetes-Spezialisten funktioniert."
Bei der elektronischen Weiterleitung von Gesundheitsdaten seien auch noch viele Fragen zum Datenschutz offen: "Für Therapiekontrollen ist die kontinuierliche Datenübermittlung sicher sinnvoll – aber Therapieänderungen können nur von einem Arzt vorgenommen werden. Automatische Anpassungen durch einen Algorithmus im Hintergrund können fehleranfällig sein." Solche Telemedizin-Projekte könnten als Zusatzangebot aber künftig eine wichtige Rolle spielen.
