Eigentlich hatte Spacey die filmprägende Rolle des legendären US-Multimilliardärs Jean Paul Getty gespielt, dessen Enkel entführt wird. Dafür war der 58-Jährige täglich fünf Stunden lang auf einen 80-Jährigen geschminkt worden. Umso spektakulärer die Entscheidung des Studios, nachdem Ende Oktober die Anschuldigungen gegen Spacey publik wurden, das fertige Werk mit dem mittlerweile 88-jährigen Christopher Plummer wenige Wochen vor dem regulären Kinostart nachzudrehen.
Alles Geld der Welt – Die Handlung
Auch wenn dieser Schritt mutmaßlich primär ökonomisch begründet war, um den Kinoerfolg nicht mit einer Debatte um Spacey zu belasten, bleibt er doch das Symbol für einen möglichen Paradigmenwechsel in Hollywood. Und am Ende bleibt zu konstatieren, dass die Entscheidung sich auch künstlerisch ausgezahlt hat. Die Oscar-Nominierung als bester Nebendarsteller ist hochverdient, zeichnet Christopher Plummer den reichen Ölmilliardär doch als die Figur eines antiken Dramas, ohne, dass der Zuschauer von einer noch so beeindruckenden Maske abgelenkt würde.
Der gealterte Patriarch steht im Mittelpunkt eines spektakulären Entführungsfalles, der auf den wahren Ereignissen des Jahres 1973 basiert. In Rom wird sein 16-jähriger Enkel John Paul Getty III (Charlie Plummer, nicht verwandt mit Christopher) von süditalienischen Gangstern entführt. Sie verlangen 17 Millionen US-Dollar Lösegeld für die Freilassung, was Mutter Gail (Vanessa Williams), die in die Getty-Familie eingeheiratet hatte, in Verzweiflung stürzt. Schließlich ist sie von ihrem drogenkranken Mann mittlerweile geschieden und muss nun lange Zeit erfolglos versuchen, ihren Ex-Schwiegervater zu überreden, die geforderte Summe zu zahlen. Der Tycoon weigert sich, weil er zunächst Betrug vermutet und dann keine Nachahmer motivieren will. Gail muss deshalb den Kampf mit dem von Opa Getty engagierten ehemaligen CIA-Agenten Fletcher Chase (Mark Wahlberg) alleine führen. Unterdessen schneiden die Kidnapper dem Teenager ein Ohr ab, um ihrer Forderung Nachdruck zu verleihen.
Alles Geld der Welt – Die Kritik
Starregisseur Ridley Scott wendet sich mit “Alles Geld der Welt” einmal nicht den großen Sci-Fi-Epen seiner “Alien”-Reihe oder dem “Marsianer” zu, sondern dem großen Familiendrama. Und doch steht mit dem alten Getty, einer Machtfigur shakespearischen Ausmaßes, wieder ein Monster im Zentrum des Geschehens. Dem gegenüber brilliert Michelle Williams als starke Frauenfigur, die als liebende und streitbare Mutter für das Leben ihres Sohnes eintritt, ohne dabei in Genderklischees zu verfallen.
Diese vollkommen bediente hingegen das Verhandlungsergebnis der Agenturen zum Gehalt für die nötigen Nachdrehs. Während Wahlberg 1,5 Millionen Dollar für den zehntägigen Nachdreh bekam, waren es bei der ungleich präsenteren Williams lediglich 1.000 Dollar. Nach einem Aufschrei kündigte Wahlberg im Jänner an, seine Zusatzgage an den “Time’s Up”-Fonds zu spenden, der sich um die Justizkosten von Missbrauchsopfern kümmert. Auch hier zeigte sich “Alles Geld der Welt” also an vorderster Front der Debatte um Genderungerechtigkeiten in Hollywood.
Im Bezug auf seine eigentliche, immer wieder in Rückblenden erzählte Geschichte, verlässt sich Scott jedoch im Fortgang zu wenig auf seine herausragenden Schauspieler, sondern changiert letztlich unentschieden zwischen Action und Psychogramm. Mit zunehmendem Fortgang verheddert sich das Werk in den Längen der Realgeschichte, schildert die lähmenden Zwischenstadien der über fünf Monate dauernden Entführung allzu ausgiebig. Der Platz in der Filmgeschichte ist “Alles Geld der Welt” dennoch sicher – auch wenn dafür ein Schauspieler verantwortlich ist, der auf der Leinwand gar nicht zu sehen ist.
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(APA)