“Unruhe nach dem Sturm” lädt ein, sich mit allen Ebenen seiner Kunst auseinanderzusetzen – wobei der Gestus durchaus “labyrinthisch” ist, wie Brus meinte. Diese Beschreibung der Schau mit sechs Kapiteln und insgesamt mehr als 700 Einzelobjekten durch den gebürtigen Steirer im Rahmen einer Pressekonferenz am Donnerstag war aber durchaus als Kompliment zu verstehen. “Sie ist vielschichtig und so, dass man sich nicht verirren kann. Stattdessen stößt man von einer Periode auf die nächste. Dieses Ineinanderwirken zeichnet die Ausstellung aus”, meinte Brus. Gelungen sei dies durch die Auseinandersetzung mit den Quellen und Archiven, merkte Kurator Harald Krejci an. “So haben sich Beziehungen ergeben, die vielleicht vorher noch nicht gezeigt wurden.”
Intensive Auseinandersetzung mit Brus
Die Beschäftigung mit Brus dürfte jedenfalls äußert intensiv gewesen sein: Verteilt über das gesamte Obergeschoß des Hauses, begegnen die Besucher nicht nur den frühen Arbeiten im Stile der gestischen Malerei, sondern sehen sich alsbald konfrontiert mit Zeugnissen der unterschiedlichsten Aktionen von Brus – vom “Wiener Spaziergang” bis zur “Aktion mit Diana”, seiner Tochter. Die Zeit der Wiener Aktionisten, die Brus und seinen Kollegen auch etliche Strafen einbrachten und ihn nach der Aktion “Kunst und Revolution” (Stichwort: “Uni-Ferkelei”) schließlich für einige Jahre ins Berliner Exil zwangen, wird naturgemäß auch mit Videos zum Leben erweckt.
Aber nicht zuletzt seine erste Aktion “Ana”, benannt nach seiner ihn stets unterstützenden Frau, nimmt im komplexen Geflecht eine Sonderstellung ein, bildet gewissermaßen das Herzstück von “Unruhe nach dem Sturm”: “Hier ist schon alles angelegt, was später kommen wird”, beschrieb Krejci die Bedeutung der Aktion, die anhand von Dutzenden dicht gehängten Fotos nachvollzogen werden kann. Der Künstler als Gegenstand seiner Kunst, sein Körper als Leinwand, die Dokumentation mittels Fotografie – all das zeuge von “der Überwindung der Malerei und einer neuen Narration”.
Belvedere 21 will weg von Brus-Klischees
Ebenfalls ein besonderes Anliegen ist Krejci, “weg vom Klischee des Provokateurs Günter Brus zu kommen. Er provoziert nicht, um auf seine Kunst aufmerksam zu machen, wie es heute vielfach passiert, sondern macht Kunst, die provoziert.” Und dennoch wohne allen Arbeiten, natürlich besonders den ab der Berliner Zeit entstehenden Bild-Dichtungen, eine Poesie inne. “Seine Bild-Narrationen sind alles andere als Märchen. Es sind unglaublich dichte, poetische Reflexionen. Sie funktionieren, indem man sich einlässt auf einzelne Ideen”, so Krejci.
Auch die Arbeiten für das Theater des am 27. September 1938 in Ardning geborenen Künstlers nehmen einen wichtigen Platz ein – etwa seine Kostüme für Janaceks “Das schlaue Füchslein” an der Sächsischen Staatsoper Dresden im Jahr 1994. Ein eigener Raum ist wiederum den Kollaborationen gewidmet: Zu Beginn der Schau sind es gemeinsame Arbeiten mit Arnulf Rainer, die zu sehen sind, wobei diese im weiteren Verlauf ausgetauscht werden. Es werden nämlich noch Zusammenarbeiten mit Jörg Schlick und Dominik Steiger folgen, bevor als Schlusspunkt eine Rauminstallation von Sophia Süßmilch ganz aktuell auf Brus reagiert.
Belvedere-Direktorin sieht Brus-Retrospektive “Spirit of 68” verpflichtet
Der überbordende Charakter der gelungenen Schau ist Krejci zufolge schon im Werk von Brus selbst angelegt. “Es ist ein ständiges sich Abarbeiten. Und dabei gibt es keinen Ausschuss, man ist immer mit einer unglaublichen Qualität konfrontiert.” Der Künstler selbst gab auf Nachfrage zu verstehen, dass das Scheitern durchaus zu seinem Alltag gehöre. “Der Papierkorb ist mein Begleiter”, erklärte er zum Amüsement der Anwesenden. “Ich merke sehr schnell, wenn ich etwas falsch anlege oder nicht richtig aufs Papier bringen kann. Dann zerfetze ich es sofort. Die Ausscheidung findet also schon während des Prozesses statt.”
Für Belvedere-Direktorin Stella Rollig ist die Brus-Retrospektive jedenfalls ganz dem Jahresmotto “Spirit of 68” verpflichtet. “Alle Ausstellungen in diesem Jahr stehen unter dem Vorzeichen einer Befragung und Reflexion der Werte von 68: Emanzipation, Befreiung, Pazifismus, Feminismus.” Gerade Günter Brus habe gesellschaftliche Umbrüche in Österreich “nicht nur begleitet, sondern mitinitiiert”. Nicht zuletzt deshalb sei es “längst an der Zeit”, ihn mit einer großen Präsentation in einem Bundesmuseum zu würdigen.
Umfangreicher Katalog für Schriftliches im Belvedere
Und wem die bloße Betrachtung zu wenig ist, für den hat das Belvedere vom Wiener Start-up Artivive eine App entwickeln lassen, die Bilder und Objekte “zum Leben erweckt”. Rund 30 Werke sind mittels der kostenlosen Anwendung in animierter Weise zu rezipieren oder werden mit zusätzlichen Hintergrundinformationen versehen. Für die Lektüre in den eigenen vier Wänden wurde wiederum in traditioneller Weise ein umfangreicher Katalog herausgegeben.
APA/Red.