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Der Weg zum eigenen Ich

15-10-2017, 06:00

Bis ein Kind ein Bild von sich selbst  hat, dauert es  Jahre.  Drei große Entwicklungsschritte sind dafür erforderlich. Das Internet ist voll von Videos, in denen sich Babys und Kleinkinder im Spiegel beobachten. Manche schauen verwundert, andere belustigt, andere ziehen Grimassen. Wie sich die Kleinen verhalten, verrät viel darüber, in welchem Entwicklungsstadium sie sich gerade befinden.
Die Wiener Entwicklungspsychologin Elfriede Wegricht  kennt den ersten großen Entwicklungsschritt, den Kinder machen, wenn es darum geht, sich als Person wahrzunehmen: „Zwischen dem zwölften und 18. Lebensmonat  macht es  irgendwann ,klick‘.  Dann stellt das Kind beim Blick in den Spiegel fest, dass  ihm kein Fremder entgegenblickt, sondern das eigene Antlitz. Selbst-Erkennen nennen das die Psychologen.“ 

Ob ein Kind diesen Entwicklungsschritt gemacht hat, stellt man anhand des Rouge-Tests fest: „Man  malt dem Kind einen roten Fleck auf die Stirn und beobachtet, was passiert, wenn es in den Spiegel schaut. Greift es sich an die Stirn, ist klar, dass sich das Kind selbst erkennt.“

Der Weg zum Ich

Das  Selbst-Erkennen bedeutet  noch lange nicht, dass sich das Kind als „Ich“, als eigenständige Person, wahrnimmt: „Kleinkinder empfinden sich anfangs  als symbiotischen Teil ihrer Mutter“, erläutert Wegricht. Das Wort „Ich“ ist in dieser Entwicklungsphase  vielleicht in ihrem Wortschatz, doch es wird nicht verwendet. Die Kleinen  sprechen  immer von der „Lisa“ oder vom „Paul“, wenn sie über sich selbst reden: „Maria will Banane haben“ oder „Paul war Bauernhof“ lauten in dieser Phase die Selbstbeschreibungen. Erst wenn es das Wort „Ich“ richtig verwendet, ist es sich seiner Persönlichkeit bewusst – das kleine „Ich bin ich“  ist der nächste große Entwicklungsschritt, der  meist im Alter von ca. 24 Monaten erfolgt. 

Ein Bild von sich machen

Doch wie stellt man fest, dass es einen Unterschied gibt zwischen Selbst-Erkennen und Selbst-Bewusstsein? Die Neurowissenschaftlerin Mariia Kaliuzhna  von der   Uni Lausanne (Schweiz) hat  bei Erwachsenen  untersucht,  wie Menschen mit neurologischen und psychischen Krankheiten sich selbst wahrnehmen. „Ein Mann, der einen Hirnschlag hatte und daher einen Gedächtnisschwund, versteht das Prinzip des Spiegels und kann sich selbst erkennen. Allerdings erinnert er sich an keine Informationen zu seiner Persönlichkeit.“ Auch Umgekehrtes gibt es:  Menschen mit einer Schädigung in einem bestimmten Bereich des Schläfenlappens können  ihr Gesicht nicht erkennen, dennoch nehmen  sie sich selbst  normal wahr.

Moralvorstellung

Doch zurück zu den Babys. Zur Identität gehört es, eine eigene Moralvorstellung zu entwickeln – was ist gut, was ist nicht in Ordnung? „Solche Unterscheidungen können schon Drei- bis Vierjährige machen“,   hat Wegricht beobachtet. „Die meisten Wissenschaftler gehen allerdings davon aus, dass dieser Schritt erst  viel später erfolgt“, sagt sie.  In dieser Entwicklungsphase brauche es die Eltern als moralische Instanz, die als Kompass zur Persönlichkeitsentwicklung des Kindes dient.  In ihrer Erziehung sollten Väter und Mütter konsequent vorgehen, um den Kindern ein sicheres Gefühl zu geben. Fehler sollten niemals mit Strafe quittiert werden, sondern mit Erklärungen, die wesentlich mehr Erfolg versprechen.

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