Gastkommentar von Johannes Huber. Der FPÖ-Chef lebt weiterhin vom Zustand von ÖVP und SPÖ. Bleibt dieser unverändert, ist es nur eine Frage der Zeit, dass er Kanzler wird.
Kommentare, wonach FPÖ-Chef Herbert Kickl verloren habe, weil die Koalitionsverhandlungen mit der ÖVP gescheitert sind und er daher nicht in wenigen Tagen ins Kanzleramt einziehen kann, sind irritierend: Er ist von vornherein mit der Devise „Alles oder nichts“ angetreten. Und natürlich mag er davon ausgegangen sein, dass er alles bekommt, was er will; dass sich die Volkspartei unterwirft. Von vornherein musste man jedoch bezweifeln, ob er das große Ziel schon jetzt erreichen möchte. Allein wie er die ÖVP bzw. deren Obmann Christian Stocker Anfang Jänner zu Verhandlungen einlud, war eine Provokation. Eine Provokation, die zum Ausdruck brachte, dass es Kickl auch egal wäre, wenn nichts herauskommt. Entsprechend gelassen gibt er sich jetzt.
Der FPÖ-Chef weiß, dass bei Wahlen in absehbarer Zeit viel mehr als die 28,8 Prozent für seine Partei möglich sind, die sie im vergangenen Herbst erreicht hat. Jedenfalls, so lange der Zustand von ÖVP und SPÖ so bleibt, wie er ist. Er weiß im Übrigen, dass es dann noch schwieriger wird für die Volkspartei, sich einer Zusammenarbeit mit ihm zu entziehen. Ihr Problem ist nämlich, dass sie sich ihm und den Freiheitlichen ausgeliefert hat.
Was soll aus Kickls Sicht schon passieren? Der ÖVP ist das Personal ausgegangen. Mit Karoline Edtstadler hat sich die letzte Frau vom Acker gemacht, die ihm Paroli bieten könnte. Sie wird bald Landeshauptfrau in Salzburg. Sebastian Kurz ist längst weg. Ein Comeback ist möglich, er ist jedoch so sehr durch Affären und seine Coronapolitik beschädigt, dass fraglich ist, ob er an seine besten Zeiten noch anknüpfen könnte.
Im Grunde genommen betreibt die Volkspartei heute eine Politik, die nicht weit entfernt von jener der FPÖ ist. Genauer: In fünf Bundesländern macht sie im Rahmen von Koalitionen bereits gemeinsame Sache mit dieser. Zu oft fehlen ihr jedoch Leute, die das Potenzial haben, sich dabei besser zu schlagen als Freiheitliche. Ganz besonders auf Bundesebene ist das der Fall, wo ihr das Personal eben ausgegangen ist. Da kann Kickl eher nur gewinnen, die ÖVP früher oder später aufsaugen.
Unfreiwillige Schützenhilfe kommt von der SPÖ: Andreas Babler hat es als Vorsitzender nicht geschafft, Kickl Wähler abzunehmen. Im Gegenteil: Unter Arbeitern holte dieser für die FPÖ eine absolute Mehrheit bei der Nationalratswahl. Man könnte auch sagen: Die Schwäche der Sozialdemokratie trägt zu Kickls Stärke kaum weniger bei als es der erwähnte Zustand der ÖVP tut.
Es müsste ein Wunder geschehen, dass sich das ändert. Schwarze und Rote müssten den Ernst der Lage nicht nur erkennen, sondern ihm auch gerecht werden. Sie dürften im Falle einer Regierungszusammenarbeit nicht dem Irrtum unterliegen, dass sie jetzt gerettet sind und Kickl mit der Zeit irgendwie verschwinden wird. Im Falle von Neuwahlen bräuchten sie gar dringend neue Köpfe. Sozialdemokraten könnten zum Beispiel Christian Kern bitten, wieder Vorsitzender zu werden. Er hätte das Zeug, die Partei zumindest auf 25 Prozent zu führen. Bei der ÖVP fällt einem auf die Schnelle kein möglicher Nachfolgekandidat für Christian Stocker ein. Da müsste man länger suchen. Aber das ist jetzt müßig: Wenig bis nichts deutet darauf hin, dass die Bereitschaft zu einer solchen Erneuerung besteht. Sprich: Kickl hat noch lange nicht verloren.
Johannes Huber betreibt den Blog – Analysen und Hintergründe zur Politik