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Kinder- und Jugend-Theaterfesti­val: Unbekannte "Länder" erforschen

9-02-2018, 12:52

Noch bis 12. Februar steht Graz an vielen Ecken und Enden im Zeichen von Kinder- und Jugendtheater aus – diesmal – zehn Ländern Europas. 13 Theatergruppen aus Großbritannien, Norwegen, Tschechien, Frankreich, Belgien, den Niederlanden, der Schweiz, Slowenien, Deutschland und Österreich bespielen sechs Spielorte in der steirischen Landeshauptstadt sowie die Festivalzentrale, den spleen*hotspot im Theater im Bahnhof. Zum siebenten Mal steigt das – alle zwei Jahre stattfindende – Festival „spleen*graz“ (getragen vom Mezzanin Theater und dem TaO! - Theater am Ortweinplatz Graz) mit Stücken sowohl für schon sehr junge Kinder, als auch für Jugendliche. Gespielt wird nicht nur in Theaterräumen, sondern teilweise als erforschende, entdeckende Performances im Freien. Nicht immer treten die Künstler_innen fürs Publikum auf, in manchen Produktionen wird das Publikum unerlässlicher Teil der Performance – und zwar nicht nur als aktive Zuhörende, sondern als integrierte Mitwirkende.

Eltern auf die Schaufel genommen

Foto: Niklaus Spoerri Ein junges Paar zieht erstmals zusammen. Aus wenigen Stangen, einigen, teils skurrilen Gegenständen in einem Einkaufstrolley „zaubern“ Nora Vonder Mühll und Stefan Colombo der Schweizer Theatergruppe Sgaramusch in „Knapp e Familie“ ihre Wohnung. Ein Trichter sowie eine Blumenvase werden zu den Gläsern mit denen sie auf ihr neues, ihr erstes gemeinsames Zuhause anstoßen. So jung verliebt und doch scheinen sie einander wenig zu sagen zu haben. Irgendwie doch nicht ganz glücklich. Sie schauen hin, sie schauen her, sie schauen sich um. „Da fehlt doch noch etwas!“ Aber was? Bild? Nein, ist da. Lampe? Nein auch die ist da. „Ein Kind!“ „Ein Kind wäre schon was Schönes, dann wären wir nicht mehr alleine!“
Die beiden schaffen sich also ein Baby an – den Deckel einer Kühlbox. Das Schreien dazu aus dem Mund des Schauspielers wirkt gekonnt echt – bis die Nachbarin kommt und sich drüber aufregt. „Aber wir haben doch gar kein Kind, wir stellen uns nur vor, eines zu haben!“

Foto: Niklaus Spoerri Später stellen sie sich einen Fünfjährigen vor – gespielt von einem jungen Zuschauer, den verlieren sie bei einem Urlaub in den finnischen Wäldern, dann kommt eine 14-jährige Tochter – die wenig mit ihnen kommuniziert, von der sie praktisch nichts wissen, weshalb sie sich in deren Abwesenheit in ihr Zimmer schleichen und in ihrem Tagebuch schmökern. „Meine Eltern sind so peinlich, die würden sogar in meinem Tagebuch lesen...“
Bei jener Vorstellung, die der KiKu-Reporter im Grazer Kindermuseum „Frida & freD“ miterlebte, begannen die Kinder schon zu protestieren, als die Eltern das Jugendzimmer betreten wollten, erst recht als sie das Tagebuch – übrigens einen klappbaren Eierschneider – öffnen wollten. „Nein, das ist Privatsphäre!“ In einer anderen Vorstellung, so war zu erfahren, hatten die meisten Kinder den Eltern das Betreten erlaubt, beim Tagebuch spalteten sich die Geister: Buben riefen „ja“, Mädchen „nein, das dürft‘s ihr nicht!“
In dieser amüsanten Theaterstunde nimmt das Schauspiel-Duo so manche Haltung Erwachsener, hier vor allem Eltern, immer wieder bissig aufs Korn und ermuntert teils durch eine Art paradoxe Intervention besonders die jungen Zuschauer_innen zum widersprüchlichen Mitdenken und – teils auch -handeln.

Wahr oder falsch?

Natürlich ist Theater an sich ja schon ein fiktionales Spiel, in diesem Stück wird aber nochmals gespeilt, dass die Episoden mit dem Kind/den verschiedenen Kindern nur Vorstellungen der Bühnen-Eltern sind. Das passt gut zu dem Motto, das in diesem Jahr über dem Festival schwebt „wahr oder falsch?“

Erinnerungen ans Leben

Foto: Altman Auf ganz andere Art thematisiert dies das Stück „Museum of Memories“ der seit fast zwei Jahrzehnten agierenden internationalen Theatergruppe NIE mit Mitwirkenden aus Norwegen, Tschchien und Großbritannien. Die maximal fünf Dutzend Zuschauer_innen sitzen auf Camping-Klappstühlen inmitten eines sehr alt anmutenden Archivs – Wände mit Schubladen aus rostigem Metall mit einigen Aufschriften in uralter Handschrift. Im Mittelgang zwsichen den Publikumsreihen und rund um sie herum spielen Kieran Edwards, Guri Glans, Iva Moberg und Dagfinn Tutturen die Erinnerungen an den Jugendlichen Marcus. Der hat sich das Leben genommen. Trotz der tragischen Ausgangssituation sind die folgenden rund eineinhalb Stunden vor allem lebensfrohen Schilderungen vor allem seines Bruders, einer Nachbarin und Lehrerin und seiner ersten Freundin gewidmet – Erinnerungen an sein, an das Leben mit ihm – witzige und peinliche Situationen ebenso wie emotional sehr berührende Momente – immer wieder begleitet, untermalt, aber auch hervorgehoben durch den Live-Musiker Helder Deploige. Er lebt weiter – in den Erinnerungen der anderen. Während die Erinnerungen an die anderen in ihm mit seinem Lebensende ausgelöscht sind.

Foto: Altman Mit einigen wenigen aber markanten Ereignissen vor allem aus dem Jahr 1986 als die Hauptfigur Markus seinen ersten Fußball bekam – Fußball-WM in Mexiko mit Diego Maradona und seinem „Hand-Gottes“-Tor, aber auch manchen Hits – werden auch Erinnerungen entsprechend alter Zuschauer_innen – für das jugendliche Publikum schon damit fast Historisches – angeregt.
Zum wunderbaren, fesselnden Spiel gehört nicht minder die geniale Raumkonstruktion von Katja Ebbel Frederiksen, in der nach dem Stück auch in einigen der Laden gestöbert werden kann.

Vor allem Gefühle vermittelt

Foto: Ilja Lammers Ist es der Aufbruch in ein Fantasieland, die nicht immer leichte Entdeckung einer neuen Welt? Oder doch „einfach“ die Geschichte einer mühsamen Flucht mit völlig unbekannten Bräuchen, Sitten, Gewohnheiten, einer komplett anderen Sprach(melodie)? Letzteres haben die meisten Zuschauer_innen in „Onbekend Land“ der Koproduktion mehrerer niederländischer Gruppen (Het Houten Huis, Oorkaan, Nordland Visual Theatre) im am Rande von Graz gelegenen Haus freier Gruppen, dem Kristallwerk gesehen.

Foto: Ilja Lammers Was an diesem rund einstündigen stück beeindruckt ist, dass nichts plakativ, vordergründig erzählt wird. Das feinfühlige Spiel von Inez de Bruijn wird genial ergänzt und erweitert durch die drei Musiker Radek Fedyk, Martin Franke und Raimund Groß, die immer wieder auch, vor allem, als Fantasiefiguren an der Grenze zum und im neuen Land auftauchen. Dabei nutzen sie außer klassischen Instrumenten wie Gitarre, Trompete, Trommeln, einem Metallophon vor allem unterschiedlich dicke und lange Metallfedern, Tröten usw. Die durch wenige Handgriffe veränderbare Bühnenlandschaft aus Elementen, die aus weißen Dreiecken zusammengesetzt sind, strahlt viel Kälte aus. Musik und Schauspiel vermitteln vor allem Eindrücke von Gefühlen und Stimmungen des Ausgesetzt-Seins, der Suche nach Auskennen- und Akzeptiert-werden-Wollens in der neuen Umgebung. Öffnet die Ankommende ihren Koffer, so findet sie Erinnerungsstücke – Phasen des Heimwehs, aber auch des Gefühls von Geborgenheit beginnen – und sind mit Schließen des Koffers abrupt zu Ende. Laaangsam und mit Hindernissen ergeben sich Brücken zwischen ihr und den Fremden – oder diesen und ihr als Fremder?!

Compliance-Hinweis: Die Berichterstattung für den (Kinder-)KURIER kann erfolgen, weil das Festival den Reporter für drei Tage eingeladen hat.

Knapp e Familie
Theater Sgaramusch (Schweiz)
Schauspiel in deutscher Sprache
Eine Stunde; ab 7 J.

Regie: Carol Blanc
Spiel: Nora Vonder Mühll, Stefan Colombo
Dramaturgie: Urs Bräm
Ausstattung: Renate Wünsch
Musik: Markus Keller
Produktionsleitung: Cornelia Wolf

Museum of Memories
NIE (New International Encounter)
Norwegen, Tschechien, Großbritannien
Tanztheater und Livemusik ohne Sprache
1,5 Stunden; ab 14 J.

Regie und Konzept: Kjell Moberg
Darsteller_innen: Helder Deploige, Kieran Edwards, Guri Glans, Iva Moberg, Dagfinn Tutturen
Musik: Helder Deploig
Bühne: Katja Ebbel Frederiksen
Produktion: Iva Moberg, Uta Gildhuis
Künstlerische Beratung: Alex Byrne

Onbekend Land
Het Houten Huis / Oorkaan / Nordland Visual Theatre (Niederlande)
50 Minuten; ab 8 J.

Konzept: Elien van den Hoek, Inez de Bruijn
Regie: Elien van den Hoek, Gienke Deuten
Musik und Spiel: Radek Fedyk, Martin Franke, Raimund Groß
Spiel: Inez de Bruijn

Dramaturgie: Preben Faye-Schjøll
Musik-Dramaturgie: Caecilia Thunnissen

Technik: Gerrit Schilp, Roy Vermeer / Tjarko van Heese / René Groeneveld
Bühnenbau: Douwe Ket
Lichtdesign: Desiree van Gelderen
Kostüme und Pop-ups: Freja Roelofs, André Kok
Bühnenbild und Ausstattung: Marlies Schot
Regieassistent: Frederieke Vermeulen
Produktionsleitung: Ruben Bosch

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