
Für die stärksten Eindrücke auf dem 74. Filmfestival von Venedig sorgten heuer die Amerikaner. Und wenn schon nicht die Amerikaner, dann amerikanische Produktionen, wie Guillermo del Toros glänzende Meermann-Fantasy "The Shape of Water" oder Martin McDonaghs bissige Kleinstadt-Satire "Three Billboards Outside Ebbing, Missouri". Da trifft es sich gut für das älteste Filmfestival der Welt, dass Darren Aronofsky mit "mother!" das Publikum spaltete und George Clooneys Vorstadt-Groteske "Suburbicon" auf dem Lido Premiere feierte.
Schon in den letzten Jahren war es Festivalchef Alberto Barbera gelungen, Venedig als bedeutsame Plattform für den Start der Oscar-Saison zu etablieren. Und auch heuer lieferte die gewichtige amerikanische Präsenz genügend Potenzial für Oscar-reifen Gesprächsstoff.
Zum Finale seines insgesamt durchwegs starken Filmprogramms schickte Barbera noch einmal europäisches Autorenkino ins Rennen. Zuvor aber hatte noch Vivian Qu als einzige Frau im Wettbewerb mit "Angels wear White" ein verhaltenes, aber eindringlich inszeniertes Porträt junger chinesischer Mädchen vorgestellt. In einer ausschließlich an Geld und Erfolg interessierten, sexistischen Gesellschaft führen zwei Schulmädchen und eine elternlose Teenagerin ein prekäres Dasein. Sexueller Missbrauch und Ausbeutung am Arbeitsmarkt verschärfen die Situation der jungen Mädchen und Frauen, die Qu mit ihren klaren Bildern in den Blick nimmt.
Ein Kind steht auch im Mittelpunkt des letzten Wettbewerbsbeitrags "Jusqu’ à la garde", dem Spielfilmdebüt des Franzosen Xavier Legrand. Die Eltern lassen sich scheiden, die Mutter will dem Ehemann das Besuchsrecht entziehen. Vor allem ihr junger Sohn fürchte sich vor dem Vater, so das Argument. Dass das Kind allen Grund hat, den Alten zu meiden, macht Legrand bald in (allzu) starker Deutlichkeit klar.
Sensationell in seiner Rolle als zerquältes Kind ist Thomas Gioria, der den zwölfjährigen Julien mit herzzerreißender Hingabe spielt. Xavier Legrand selbst startete seine Karriere als Schauspieler im Alter von sieben in Louis Malles’ "Auf Wiedersehen, Kinder". Vielleicht war es gerade diese Erfahrung, die ihn besonders dafür sensibilisierte, mit Kindern zu arbeiten und so eindringliche schauspielerische Leistungen zu erzielen.
<spunq:image id="285268053" text="Charlotte Rampling in " hannah“"="">Am komplett anderen Ende der Altersskala lieferte Charlotte Rampling eine ihrer gewohnt subtilen Performances. Bereits in dem fragilen Ehedrama "45 Years" hatte die 71-jährige mit ihrem nuancierten Spiel brilliert; in "Hannah" bietet sie eine ähnlich eindrückliche Studie von einer einsamen Ehefrau, deren Mann aus nicht ganz klar formulierten Gründen ins Gefängnis muss.
Mit dem Besuch Charlotte Ramplings auf dem Lido endeten die 74. Filmfestspiele in Venedig – in einem würdigen Finale.
