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Gedichte einer Kaiserin

16-12-2017, 06:00

Was für ein Leben! Michiko Shōda,  begüterte Kaufmannstochter aus Tokio, hätte auch Pianistin werden können. Oder Englischlehrerin. Immerhin wurde der im Oktober 1934 geborene Lockenkopf von einem Hausmädchen aus Großbritannien unterrichtet. Aber nichts da, die von ihren Eltern in Anspielung auf Shirley Temple liebevoll „Temple-chan“-genannte Frohnatur machte im August 1957  ausgerechnet auf den damaligen japanischen Kronprinzen Akihito nachhaltigen Eindruck.

Romanze am Tennisplatz
 Selber schuld, könnte man sagen. Wäre die sportive Schönheit mit dem rötlichen Haar nur nicht im kurzen Röckchen im Ferienort Karuizawa angetanzt. So aber machte im Jahr darauf  eine  „Romanze des Tennisplatzes“ Schlagzeilen.

Foto: Herder Verlag 12 Lagen Seidenkimono
Wieder ein Jahr später wurde geheiratet. Eine Riesenzeremonie. Michiko verpackt in zwölf Lagen Seidenkimono und beobachtet von 500.000 Zaungästen, die beim kilometerlangen Hochzeitszug durch Tokio Spalier standen. Vor den TV-Geräten sollen 15 Millionen Zuschauer gesessen sein. Später wird die junge Prinzessin zu Papier bringen, welcher immense Druck in diesen Momenten auf ihr gelastet hat.


 Auf meine geöffnete Hand
legte mir Seine Hoheit
die Frucht eines Maulbeerbaumes.
Nur eine kleine Maulbeere.
Aber sie wog schwer.

Eine Sensation
Dass dies nun, fast sechzig Jahre danach, bei uns bekannt wird, ist das Verdienst zweier Männer. Zum einen des Japanologen Peter Pantzer aus Bonn, der  erstmals die Gedichte der japanischen Kaiserin ins Deutsche übersetzt hat. Und zum anderen jenes von Manuel Herder, der diese literaturgeschichtliche Sensation in seinem  Verlag herausbringt.  

Affinität zu Asien  
Er führt das Familienunternehmen in sechster Generation und pflegt  eine besondere Affinität zu Asien. Als Student hat Manuel Herder mehr als  ein Jahr in Japan verbracht und sich dabei nachhaltig von der Faszination der fernöstlichen Kultur und Literatur anstecken lassen. „Dank dieser eindrucksvollen Begegnungen gehört Japan und seinen Entwicklungen bis heute mein Interesse“, erklärt er. So sah er in der Nuklearkatastrophe von Fukushima vor sechs Jahren sogleich eine große Chance. „Die Kaiserin traf sich damals zum ersten Mal in der Geschichte ihres Landes öffentlich mit Opfern eines Unglücks“, so Manuel Herder. „Ihre Trauer hat sie danach in Gedichten verarbeitet.“ Und eben diese Gedichte wollte er verlegen.

"Nur eine kleine Maulbeere...."
Ein Wunsch, der in Erfüllung ging. Herder: „Ein Kontakt zum  Kaiserhaus ermöglichte es mir, diese Gedichte zu publizieren“, meint er bescheiden. In Wahrheit ist der Band „Nur eine kleine Maulbeere. Aber sie wog schwer“  schlichtweg eine Sensation. Es ist ein exklusiv für den Herder Verlag in Freiburg im Breisgau editiertes Werk: eine Originalausgabe der japanischen Kaiserin  in einem deutschen Verlag.  

50 Gedichte
Insgesamt sind es 50 Gedichte, die uns ein Bild von diesem Land und dieser Persönlichkeit ermitteln. Sie tragen Titel wie „Zur Geburt des Prinzen Hiro“, „Schmetterling“ oder „Landkarte“ (zum Fall des Eisernen Vorhangs) und sie alle sind auch als Kalligrafie des Originaltextes abgebildet.  Angefertigt von Hakko Ishitobi, dem Berater des japanischen Kaiserhofs in kalligrafischen Belangen.

Foto: APA/AFP/KAZUHIRO NOGI
  Da es in Japan Tradition ist, dass alle Einwohner dichten, was das Zeug hält, und zwar vom Kellner bis zur  Kaiserin, trifft es sich gut, dass auch der Kaiser   ein Könner dieser Kunstform ist. Zum ersten offiziell als Kaiserpaar erlebten Neujahr 1991 dichtete Akihito wie gewohnt Poesie für Fortgeschrittene:  „Ich bete mit den Menschen / dass die Wälder / die unsere Vorväter beschützten / gedeihen  mögen / im Land der aufgehenden Sonne.“


Sowohl Akihito als auch Michiko formulieren ihre Gedanken in der über tausendjährigen  Tradition der fünfzeiligen Waka-Dichtung. Eine Tradition, die am japanischen Kaiserhof  sicher auch weiter gepflogen werden wird, wenn im April 2019 der jetzige Kronprinz Naruhito das Amt übernehmen wird.

Michiko, Kaiserin von Japan, „Nur eine kleine Maulbeere. Aber sie wog schwer“, Gedichtband mit 50 Kalligrafien, 128 Seiten, € 20,60

Foto: Herder Verlag Der edel ausgestattete Band beinhaltet fünfzig  Gedichte der japanischen Kaiserin.  Die deutsche Übersetzung wird ergänzt durch  kunstvolle Kalligrafien des Originaltextes, die  der Berater des japanischen Kaiserhofs in kalligrafischen Belangen angefertigt hat.

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