logo



[email protected]

"Erleichterung": Bitterböses Theaterstück mit Doppelbödigkei­ten

4-12-2017, 14:36

Felix heißt er, doch glücklich ist er nicht, der Schriftsteller Anfang 50, der unter einer Schreibblockade und Albträumen leidet. An den Rand gedrängt fühlt er sich von seiner erfolgreichen Frau Regina, der Vizebürgermeisterin einer niederösterreichischen Kleinstadt (die selbstredend auch ganz wo anders sein könnte).

Regisseur Árpád Schilling und seine Co-Autorin Éva Zabezsinszkij führen in ihrem Theaterprojekt "Erleichterung" hinter die Fassade einer vorgeblich intakten Familie. Sie zeigen sich vergrößernde Risse und Sprünge, führen das Zerbröckeln eben noch verbindlicher Standards vor. Die Beziehung von Felix und Regina ist auf dem Tiefpunkt – sie ignoriert seine Probleme, er ihre sexuellen Annäherungsversuche. Der literarische Schöngeist trägt an einer alten Schuld, der er sich endlich stellen muss: er hat vor Jahren einen Buben angefahren und Fahrerflucht begangen. Die Version, die er sich von diesem Ereignis zurechtgelegt hat, wird immer wieder von einer Stimme in seinem Kopf korrigiert. Derartige Doppelbödigkeiten prägen das Stück.

Lukas, das Unfallopfer, arbeitet trotz schwerer Gehbehinderung an einer Tankstelle, wo Felix mit ihm Kontakt aufnimmt. Auch Lukas bleibt ambivalent: bewundernswert in seinem Selbstbehauptungswillen, höchst fragwürdig mit seinen Macho-Sprüchen und seiner Xenophobie. Reginas zur Schau getragene humane Prinzipien führen sich ad absurdum, als sie, die sich so engagiert für das lokale Flüchtlingsheim einsetzt, dem "Krüppel" kalt sagt, er bilde sich doch nicht ein, für ihre Tochter Johanna infrage zu kommen.

Revolte

Gespielt wird auf nahezu leerer Bühne, bei Bedarf ein Tisch und ein paar Sessel. Die volle Konzentration gilt dem brillanten Ensemble. Michael Scherff (Felix) kann einen Paroxysmus der Auflehnung sekundenschnell in hündische Unterwerfung übergehen lassen. Bettina Kerl (Regina) – schlank, mit Kurzhaarfrisur, im Hosenanzug – argumentiert für "ihre" Flüchtlinge genauso eloquent wie gegen Lukas. Cathrine Dumont (Johanna) mischt befangene Neugier, Provokation und Revolte. Helmut Wiesinger (Felix’ Vater) verströmt Leutseligkeit, während er den Plan lanciert, das Flüchtlingsheim durch ein behindertengerechtes Sportzentrum zu ersetzen. Auf zum Verdrängungswettbewerb unter den Marginalisierten! Tim Breyvogel kann einem mit der Darstellung des gehbehinderten Lukas den Atem abschnüren. Als dieser bei einem Motorradunfall ums Leben kommt, setzt Erleichterung ein – und Felix fühlt in sich die Kraft für seinen nächsten Roman!

Info:"Erleichterung" im Landestheater NÖ, St. Pölten. Neues Stück von Arpad Schilling und Eva Zabezsinszkij. Mit Michael Scherff, Bettina Kerl, Tim Breyvogel, Cathrine Dumont, Helmut Wiesinger. Weitere Vorstellungen bis 17. Februar 2018, Gastspiele an der Bühne Baden am 23. und 24. Jänner 2018.

Nachrichtenquelle


© 2017-2024 wienpress.at [email protected]