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Mata Hari : Der Mythos & das Mädchen

28-10-2017, 06:00

Ein strassbesetztes Bustier am Oberkörper, Glitter im Haar sowie  jede Menge Kajal um die Augen. Und dann erst dieser erotisch aufgeladene Tanz.  Wow! Man möchte meinen, bei der extravaganten Erscheinung handle  es sich um eine verblichene Vorfahrin eines Popstars  à la Madonna, Lady Gaga oder Beyoncé. Aber Margaretha Geertruida Zelle, die einzige Tochter eines holländischen Hutmachers, hatte anderes im Sinn.

Existenz voller Extravaganz
 Sechs Jahre alt war  Greet, als  sich das Mädchen auf  einer Ziegen-Kutsche durch die friesische Provinzhauptstadt Leeuwarden ziehen ließ. Der Auftakt zu einer Existenz voller Extravaganz. Knapp zwanzig Jahre später, gegen Ende der Belle Époque, brachte der Twen mit dem dunklen Teint als Mata Hari  die Fantasien der Bohème in ganz Europa auf Trab.

Und erst der Schlangentanz
Egal, ob sie mit dem Schleier- oder Schlangentanz verführte – 1906 übrigens auch im Apollo-Theater in Wien –, lagen der exotischen Erscheinung mit dem betörenden Blick scharenweise hochrangige Politiker, Diplomaten und Financiers wie Baron Rothschild zu Füßen. Da soll man nicht die Bodenhaftung verlieren! Aber das hatte Greet ja schon, als sie sich die Legende einer aus Java stammenden Enkelin eines Sultans zurechtgezimmert hatte.

Kurtisane oder Künstlerin
Bloß Kurtisane oder doch Künstlerin? Was soll’s, jedenfalls war  Mata Hari lange vor den Gerüchten um geheimdienstliche Verwicklungen im Gespräch: Als „It-Girl“, und das  ein gutes Jahrhundert, bevor es diesen Begriff überhaupt gab.


 Im Jahr 1905, ihrem erfolgreichsten, hatte die Kontrahentin der Tanzpionierin  Isadora Duncan  Dutzende Abende für je 10.000 Francs Gage gegeben. Sie war Talk of the Town von  Madrid bis Monte Carlo, von Wien bis Paris. Dass die sieben Jahre lang unglücklich mit dem Kolonialoffizier Rudolph MacLeod verheiratete schöne Niederländerin  schon zu Lebzeiten  (von ihrem Vater verfasste) Memoiren herausbrachte, war ebenfalls eher ungewöhnlich: Das Buch  Mata Hari – Frau M. G. MacLeod-Zelle. Die Lebensgeschichte meiner Tochter und meine Verärgerung über ihren früheren Ehemann. Mit Porträts, Dokumenten, Faksimiles und Beilagen war erstmals 1907 in Amsterdam erschienen.  

Agent H21
Zehn Jahre später sollte ihr Stern jäh verglühen. Im Morgengrauen des 15. Oktober 1917  wurde das Luxusgeschöpf  im Park von Vincennes bei Paris von einem zwölfköpfigen Exekutionskommando füsiliert. Aber warum? Weil der naiven Greet die immer abenteuerlicheren Geschichten rund um Mata Hari  über den Kopf gewachsen waren? Weil sie als „Agent H21“ zum Spielball mächtiger Männer, mehr noch, großer Staaten geworden war?

Greta Garbo & Co

Foto: AP Antworten darauf werden seit einem Jahrhundert gesucht.  Ihre ebenso schillernde wie tragische Lebensgeschichte wurde  von so unterschiedlichen Schauspielerinnen wie Asta Nielsen, Greta Garbo, Jeanne Moreau, Sylvia Kristel oder Maruschka Detmers für das Kino und das Fernsehen dargestellt. Sie war Grundlage für die  Schaffung der Kunstfigur Mata Bond – als  Tochter von Mata Hari und James Bond – in der 007-Parodie Casino Royal  sowie Stoff von  etwa 250 Büchern.  Das jüngste davon stammt mit „Die Spionin“ (Diogenes Verlag) von dem brasilianischen Bestsellerautor Paulo Coelho („Der Alchimist“, „Veronika beschließt zu sterben“). Der 70-jährige frühere Underground-Dichter und -Musiker: „Mata Hari war mit ihren extravaganten Kleidern eine der Ikonen der Hippiebewegung – das böse Mädchen, die Außenseiterin, die geheimnisvolle Fremde – , wir fanden sie jedenfalls damals alle unglaublich faszinierend.“

Paulo Coelhos "Spionin"
 In einem fiktiven, allerletzten Brief lässt Coelho  die mutmaßliche  Spionin  ihr Leben aus der Gefängniszelle  Revue passieren. Viele sagen: Dreyfus war unschuldig. Ja, aber ich bin es auch. Es gibt keinen einzigen konkreten Beweis gegen mich. Vorwerfen könnte man mir höchstens, dass ich mit Kontakten und vermeintlichen Informationen angegeben habe, um meine Bedeutung herauszustreichen, als ich beschlossen hatte, nicht mehr zu tanzen. 

Die Legende bekam Risse
Die Legende von der raffinierten Femme fatale,  die sich im Ersten Weltkrieg  vom Deutschen Konsul in Amsterdam aus niederen Motiven für eine  fünfstellige Summe anwerben ließ, um gegen Erzfeind Frankreich zu spionieren, bekam schon vor Jahren erste Risse. Anfang 1999 hatte der britische Geheimdienst Akten freigegeben, die belegten, dass Mata Hari keine kriegsentscheidenden Informationen weitergegeben hätte, sondern nur Geld für ihren verschwenderischen Lebensstil angenommen habe.  

Rehabilitation in ihrer Heimat
    Einhundert Jahre  nach ihrer Hinrichtung dürfen jedenfalls die damaligen Verhörprotokolle erstmals in der Öffentlichkeit gezeigt werden: im Friesischen Museum in Mata Haris Geburtsstadt Leeuwarden. „Sie ist bis heute ein Mythos und ein Mysterium“, bestätigt dort Hans Groeneweg, Konservator des Fries Museum. Die bisher größte, auf  sechs Räume verteilte  Ausstellung über die weltbekannte Ausnahmeerscheinung zeigt Leihgaben  aus  The National Archives in London, dem Musée Guimet in Paris wie auch  dem französischen Militärarchiv in Vincennes,   läuft noch bis zum  2. April 2018 und leitet somit auf die kommende Großtat über: Die 110.00 Einwohner-Stadt Leeuwarden ist – neben dem maltesischen  Valletta – nächstes Jahr Kulturhauptstadt Europas.


Gut für den angeschlagenen Ruf der prominentesten Tochter der Stadt. Denn Leeuwarden war lange mehr als beschämt wegen der berühmt-berüchtigten früheren Bewohnerin.  So skrupellos! Eine Nackttänzerin, noch dazu eine Spionin! Aber zum Glück ist sie mit 18 weggezogen ...!  So aber ist eine grundlegende Neudeutung der Person Mata Hari möglich.

Sie ist echt
Die  Schau „Mata Hari: Der Mythos und das Mädchen“ lockte schon zur Eröffnung   Jung und Alt  gleichermaßen an.  Sie lässt anhand von persönlichen Gegenständen wie Fotos, Sammelalben, Briefen und militärischen Dossiers das echte Mädchen hinter der erfundenen Legende entdecken.
Ihre ganze Geschichte   – von der  Kindheit über ihren Aufenthalt in der ehemaligen Kolonie Niederländisch-Ostindien bis in die Pariser Tanztheater, wo aus der kleinen Margaretha die übergroße   Mata werden sollte – wird dadurch etwas klarer. Und interessiert in Zeiten von „Game of Thrones“- und „Star Wars“-Hypes sowie  überbewerteten Netflix-Serien nach wie vor. Yves Rocourt, der Ausstellungskurator, weiß auch warum: „Sie ist heute so wichtig, weil  ihre Geschichte alles hat: Sie ist spannend, voller Intrigen und Sex.“ Und vor allem ist sie eines –  echt.

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