
"Künstler sind die Ökologen des Unheimlichen, die Hauszweifler, die Anderswohnenden": Dieses Zitat des Philosophen Peter Sloterdijk ist dem Katalog der Schau "Sterne – kosmische Kunst von 1900 bis heute" im Linzer Lentos Museum vorangestellt. Es bekräftigt die Idee einer Künstlerkaste, die Raumschiff-Enterprise-mäßig an die Peripherie des Vorstellbaren vordringt und bis dahin Nichtgesehenes zurückbringt wie Gesteinsproben von fernen Himmelskörpern.
Die Idee hat einiges für sich, tatsächlich aber hatte die Kunst stets ihre Mühe mit dem grenzenlosen Kosmos: Dass die Nachbildung des Unabbildbaren fast zwangsläufig im Kitsch mündet, wird jeder, der schon einmal im Poster-Angebot eines Möbelhauses geblättert hat, bestätigen können.
Die Themenschau des Lentos lässt sich in diesem Sinn als ein Parcours der Umwege begreifen: Die Frage, durch welche Tricks man dem Universum doch noch gültige Bilder abringen kann, führt fast zwangsläufig zum Ausloten der eigenen Möglichkeiten, zur Selbstreflexion der Kunst.
Die von der mittlerweile ans Belvedere gewechselten Ex-Direktorin Stella Rollig initiierte, von den Kuratorinnen Elisabeth Nowak-Thaller und Sabine Fellner gestaltete Ausstellung unterteilt die Sternenwelt jedoch nicht nur kunsttheoretisch: Neben ästhetischen Schlagwörtern wie "Erhabenheit" und "Romantik" wird die Auswahl auch von Begriffen wie "Lichtsmog" oder "Leitstern" gerahmt. Besonders zwingend ist das nicht, letztlich überzeugt aber die Qualität und das Arrangement der gezeigten Werke.
Dass etwa die US-Künstlerin Vija Celmins durch minutiöse Detailarbeit versucht, Bildern des Sternenhimmels auf Papier besonders direkte und "physische" Qualitäten zu geben, lässt sich anhand einer schönen Druckgrafik nachvollziehen. Der bekennende Celmins-Fan Herwig Kempinger findet das Grenzenlose wiederum in einer riesigen Foto-Detailstudie von Luftblasen. Gerhard Richter malte den Sternenhimmel mit dickem Farbauftrag und versuchte gar nicht erst, atmosphärisch zu sein: Die Malerei ist ein Kosmos für sich, das zeigen auch hervorragende Bilder von Franz Sedlacek ("Die heiligen 3 Könige, 1926) oder von Alex Katz, der eine Spiegelung des Nachtlichts 1987 in sattem Grün festhielt.
Andere Künstler der Schau nutzen den Blick in den Himmel, um Inhalte abseits des Kosmischen anzusprechen. So spürte der der US-Künstler Trevor Paglen mit seiner Kamera Spionagesatelliten am Nachthimmel nach – in einem großformatigen Bild von 2007 zieht sich die Spur eines solchen Flugobjekts als heller Strich über die schwarze Bildfläche. Thomas Feuerstein wiederum ließ die Strukturformeln von Substanzen wie LSD, Heroin oder Testosteron als "Sternbilder" auf einer Himmelskarte erscheinen. Der Beitrag von Barbara Anna Husar kippt das Sternenpathos endgültig ins Ironische: Die Künstlerin schuf ein Arrangement simpler Fritteusenkörbe, die sie als "Meteoritenfänger" titulierte.
Mit einem solchen Fangkorb lässt sich auch Lewis Carrolls Buch "Alice im Wunderland" vergleichen: Lassen sich mit dem 1865 erstmals erschienenen Klassiker doch kiloweise absurde und fantastische Dinge aus dem brodelnden Fett des Kunstbetriebs schöpfen.
Genau dies tut der "Sinnesrausch" im Kulturquartier in der Linzer Innenstadt. Der nach dem "Höhenrausch" früherer Jahre neu gestaltete, sehenswerte Kunstrundgang, spart auf seine Art ebenso wenig mit Umwegen: Besucher werden hier zunächst ins Untergeschoß des OK-Centrums (den "Kaninchenbau") gelotst und bahnen sich dann entlang von Hintertreppen und schmalen Gängen ihren Weg durch den Gebäudekomplex.
Die Aushebelung des Gewohnten ist hier Prinzip: Am historischen Dachboden zwängt sich Andrea Loux in einer Video-Installation unter das scheinbar zu knappe Gebälk, in einer Gangflucht spielen Esther Stockers geometrische Schwarz-Weiß-Muster mit den Signalen, die uns durch Räume navigieren lassen. Anderswo hat Alfredo Barsuglia eine Sitzbank an der Decke montiert. Wer will, hört per Kopfhörer Anweisungen, die das Kuriose gegen den Strich bürsten: So wird man aufgefordert, andere Besucher zu fragen, ob ihnen schon einmal die Decke auf den Kopf gefallen sei, und dann hysterisch zu lachen.
Und Alice? Ja, die braucht es eigentlich gar nicht so dringend. Eingefahrene Sichtweisen zu kippen, ist schließlich Aufgabe jeder Kunst. Würden ihre Akteure und Akteurinnen nur den Themen von Gruppenausstellungen folgen, statt selbst Kriterien für ihre Arbeit zu entwickeln, sähe die Welt traurig aus.
Zugleich ist gerade die Verkittung von völlig unterschiedlichen Werken die Stärke von Ausstellungen wie dem "Sinnesrausch": Man darf sich hier ohne große Voraussetzungen in die Welt der "Hauszweifler" und "Anderswohnenden" begeben. Es wird in jedem Fall eine spannende Expedition.
