
Sibylle Bergs Theaterstück "Viel gut essen" dreht sich um einen Mann (oder viele Männer) Mitte 40, der über Ausländer, die Homo-Ehe, die Euro-Krise und den Feminismus schimpft. Ganz nach dem Motto "Das wird man ja noch sagen dürfen".
Den Wutbürger gibt Franz Adrian Wenzl. Der Sänger der österreichischen Rock-Formation Kreisky, der auch die Kunstfigur Austrofred verkörpert, war überrascht, als der Rabenhof bei der Band angefragt hat. "Schauspielen? Wir, deren bekannter Song den Titel ,Scheiße, Schauspieler‘ trägt? Aber die Terra incognita hat uns dann doch zu sehr gereizt", wird Wenzl im Pressetext zitiert. Unterstützt wird er auf der Bühne von seiner Band, mit der er einige Textpassagen musikalisch abhandelt.
KURIER: Ihr Stück "Viel gut essen" wurde 2014 in Köln uraufgeführt. Am 17. Oktober feiern Sie damit im Rabenhof Österreich-Premiere. Was ist neu?
Sibylle Berg: Es geht im Stück um ein universelles Problem – und zwar um die vornehmlich männliche Bevölkerungsschicht, die unzufrieden, wütend ist, und irgendwie den Halt im Leben verloren hat. Das war bereits 2014 so – und seither hat sich wenig verändert. Außer dass die Zahl der Frustrierten weiter gewachsen ist. Zwischen einem deutschen und einem österreichischen Mann sehe ich keinen Unterschied. Frustriert ist frustriert. Angepasst haben wir trotzdem was – und zwar die Sprache: Einige Ausdrücke wurden ins Österreichische übersetzt.
Was kommt raus, wenn eine Autorin, die für ihre gnadenlosen Gesellschaftsbeobachtungen bekannt ist, mit einer Band zusammenarbeitet, die sich als Grant-Rocker einen Namen gemacht hat?
Nichts zum Fürchten. Denn hier trifft nicht Wut auf Wut, sondern Humor auf Humor. Und wenn man annähernd denselben Humor hat, und das haben wir, hat man auch eine ähnliche Weltsicht. Wir sind also mit dem gleichen Frustrations-Level zu den Proben gegangen (lacht).
Welche Enttäuschungen teilen Sie mit den Bandmitgliedern?
Sie sind ähnlich enttäuscht von den Menschen wie ich es bin. Wir verstehen nicht, woher dieser Hass kommt. Um das rauszufinden, haben wir im Rahmen der Produktion viel diskutiert. Wenn man so will, kann man das Theaterstück als Feldforschung betrachten.
Haben Sie schon Gründe für den Hass, den Frust gefunden?
Für mich persönlich habe ich mögliche Antworten gefunden. Meiner Meinung hat es mit dem explodierenden kapitalistischen System zu tun, das die Welt zunehmend auffrisst. Gewisse Entwicklungen gehen einfach viel zu schnell vor sich, sodass der Mensch auf der Strecke bleibt. Der unregulierte Kapitalismus ist die Quelle des Unglücks, die sich auf viele andere Bereiche negativ auswirkt: den Klimawandel, die Lebenssituation in einigen Ländern und damit die einhergehenden Flüchtlingsströme. Nichts ist mehr sicher, alles bricht weg. Das sind die Ursachen für den wachsenden Hass. Das Problem dabei ist der Schluss, den die Menschen – angeleitet von ein paar Vollidioten – daraus ziehen. Der lautet nämlich: "Wendet euch gegen die Schwächeren". Das ist total Schwachsinn.
Aber was kann man gegen diese kapitalistischen Strukturen machen?
Es reicht auf jeden Fall nicht, wenn man mit Pappschildern vor das Headquarter von Goldman Sachs zieht. Ich versuche mich zu engagieren, in Bereichen, die ich kann. Das ständige Nörgeln, sich auf Facebook oder Twitter zu äußern, bringt gar nichts. Ich will hier aber auf keinen Fall als Prediger verstanden werden. Wer bin ich schon?
Was wollen Sie mit dem Theaterstück erreichen?
Im besten Fall haben die Zuseher Spaß. Vielleicht bleiben auch ein paar Sätze hängen. Das ist auch schon wieder alles, was man mit Kunst machen kann. Mehr geht nicht. Ich glaube überhaupt nicht an einen politischen Auftrag für die Kunst. In dieser Kunstblase oder – wie hier der Fall – Theaterblase erreicht man mit einer Gesellschafts- und Kapitalismuskritik ohnehin wieder nur jene Menschen, die ähnlich darüber denken. Wenn mir die Zuseher am Ende des Stücks applaudieren, applaudieren sie sich eigentlich selber.
Wie kann man Menschen die Angst vor dem sozialen Abstieg nehmen?
Ich glaube nicht, dass man das mit Kunst erreichen kann. Das kann man nur politisch angehen. Wer also etwas ändern möchte, muss entweder in eine Partei seines Vertrauens eintreten oder selber eine Partei gründen.
"Viel Gut Essen" wird im Pressetext als "Amoklauf" bezeichnet. Ist das in Zeiten von Las Vegas und Terror-Anschlägen nicht ein bisschen daneben?
Nein, denn es passiert jeden Tag etwas Furchtbares. Man kann sich ja nicht pausenlos selbst zensieren. Die Welt ist eben im Arsch.
Gibt es noch …… Hoffnung? Nein, die gibt es nicht (lacht).
Was ist schief gelaufen?
Das Internet ist ungefähr zur Hälfte für jene Probleme verantwortlich, die wir heute tagtäglich in den Nachrichten lesen können. Ich finde, man müsste dem Internet den Stecker ziehen und es ganz neu aufstellen. Denn das Internet, wie es jetzt genutzt wird, bringt nur Probleme mit sich: Fake-News, Wahl-Manipulation, Überwachungsscheiße, Mikrotargeting und so weiter. Wenn ich Verschwörungstheoretikerin wäre, würde ich sagen: Das Internet wurde nur deshalb erfunden, weil es die Geheimdienste wollten.
Bei Wahlen überstimmen die Alten die Jungen. Vor allem ältere Männer geben rechtspopulistischen Parteien ihre Stimme. Wie erklären Sie sich das?
Alt würde ich jetzt nicht sagen. Denn laut Statistik sind es die 40- bis 50-Jährigen. Das ist ja nicht wirklich alt. Aber vielleicht befinden sich viele Männer in diesem Alter in einer Phase ihres Lebens, wo sie zum ersten Mal ihre Sterblichkeit begreifen. Sie sind frustriert über die schwindende Lebenszeit, über den Betrug, der scheinbar in ihrem Leben stattgefunden hat, weil ihnen etwas Größeres versprochen wurde. Es schwindet die Sicherheit, die Macht, die Potenz und das Selbstwertgefühl, weil man auch bei den Frauen nicht mehr so gut ankommt. Das frustriert.
Wie sieht das bei Frauen aus?
Frauen sind anders wütend, richten ihre Wut oft gegen sich selbst. Frauen haben dann auch mit der schwindenden Macht kaum Probleme, weil sie Macht ja gar nicht gewöhnt sind. Frauen haben weniger zu verlieren, wenn man es pauschal formulieren möchte.
Der Mensch ist an sich ist ja nicht schlecht, sondern einfach nur schwach. Würden Sie das unterschreiben?
Schwach, träge und dumm, würde ich sagen. Ich nehme mich damit nicht aus.
