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Die geheime Liebe der Anna Sacher

24-09-2017, 06:00

Voriges Jahr zu Weihnachten zeigte der ORF eine zweiteilige Spielfilmserie über das Leben der Anna Sacher, in der Herr Julius Schuster erwähnt wurde, der der legendären Hotelbesitzerin nach dem Tod ihres Mannes nahe gestanden sein soll. Ich machte es mir für ein Kapitel meines neuen Buches zur Aufgabe, mehr über Herrn Schuster zu erfahren, der – so viel sei gleich verraten – tatsächlich die große Liebe im Leben der Anna Sacher war.

Annas Verehrer

Eduard Sacher, der Gründer des Hotels vis-à-vis der Wiener Oper, war 1892 im Alter von 49 Jahren verstorben und hinterließ seiner 33-jährigen Frau Anna das Hotel, drei gemeinsame Kinder und eine Stieftochter aus seiner ersten Ehe.

Annas Verehrer Julius Schuster war als Zentraldirektor im Bankhaus Rothschild ein einflussreicher Mann, dessen Begegnungen mit der Frau Sacher lange unverdächtig blieben, da er in Begleitung seiner Gemahlin und seiner beiden Söhne im Sacher einzukehren pflegte. Nach einiger Zeit fanden neben den familiären Soupers freilich Treffen ganz anderer Art statt, bei denen es um die Finanzierung des zuweilen überschuldeten Hotels der Frau Sacher ging.

Im Zuge der Besprechungen hat es bei Anna Sacher und Julius Schuster gefunkt, und zwischen den beiden entwickelte sich eine Affäre. Die mit Rücksicht auf die Ehe des Herrn Zentraldirektors natürlich mit größter Diskretion gehandhabt wurde.

Der aus einer Wiener Fuhrwerker-Familie stammende Julius Schuster hatte es zum engsten Vertrauten des Barons Nathaniel Rothschild und zum Direktor der größten Privatbank der Monarchie gebracht. Da Rothschild fürs Finanzgeschäft wenig übrig hatte, verfügte Julius Schuster in der Bank über weitreichende Vollmachten.

Foto: /Privat Eduard Sacher und seine erste Frau Hermine

Treffpunkt Sacher

Seine Beziehung mit Anna Sacher begann Mitte der 1890er-Jahre, Julius Schuster wohnte damals mit Ehefrau und seinen Söhnen auf der Wieden. Diskrete Treffpunkte mit der Frau Sacher waren die von der Öffentlichkeit abgeschirmten Rothschild-Gärten auf der Hohen Warte und – für intime Stunden – praktischerweise das Sacher-eigene Hotel neben der Wiener Hofoper.Doch die Verflechtungen zwischen den Familien Sacher und Schuster gehen weit über die Affäre der Hotelbesitzerin mit dem Bankdirektor hinaus. Denn 1898 heiratet Annas erst 16-jährige Tochter Anna Maria Sacher den Sohn von Julius Schuster, den 24-jährigen Julius Schuster jun. Die Ehe wird in einer Tragödie enden.

Schuster wird entlassen

Nathaniel Rothschild vertraute seinem Zentraldirektor uneingeschränkt, doch als der Baron 1905 starb, übernahm sein jüngerer Bruder, Albert Rothschild, die Geschäfte. Und dessen erste Handlung war es, Julius Schuster fristlos zu entlassen. Es kam zum Prozess, in dessen Mittelpunkt das Rothschild’sche Schloss Schillersdorf in Mähren samt riesigem Gutsbesitz stand. Albert Rothschild warf Schuster vor, im Jahr 1902 für das Anwesen zugunsten seiner Söhne Julius jun. und Heinrich Schuster allzu günstige Pachtverträge abgeschlossen zu haben. Der Prozess endete mit einem Vergleich.Im Jahr 1902, in dem der unglückliche Pachtvertrag besiegelt wurde, kam es in den durch Heirat verbundenen Häusern Sacher und Schuster aber auch zu einer wirklichen Tragödie: Am 22. März nahm sich Anna Maria Schuster – Anna Sachers 19-jährige Tochter – in einer Depression das Leben. Sie hinterließ ihrem Mann Julius Schuster jun. drei kleine Kinder.Der Selbstmord wirkte sich natürlich auf die Beziehung der Anna Sacher mit Julius Schuster aus, vermutlich wurde sie in diesen Tagen beendet. Doch das einstige Liebespaar blieb in freundschaftlicher wie in geschäftlicher Weise verbunden.

Foto: /Carl von Rohrer Julius Schuster: Sein Bild wird hier zum ersten Mal veröffentlicht

Ein düsterer Schatten

Als Julius Schusters Frau 1904 starb, hätte für Anna Sacher und Julius Schuster die Möglichkeit bestanden, die geheime Liaison zu legalisieren, wovon sie lange Zeit geträumt haben. Doch es war zu spät, der Tod der Tochter respektive Schwiegertochter lag als düsterer Schatten über ihrer Liebe und ließ eine Wiederaufnahme der einst leidenschaftlichen Beziehung nicht zu.

Julius Schuster zahlt

Julius Schuster hatte einmal noch Gelegenheit, seine Zuneigung zu Anna Sacher unter Beweis zu stellen: als der jetzt 48-jährigen Witwe im Jahr 1907 angeboten wurde, ein dem Sacher benachbartes vierstöckiges Haus in der Maysedergasse zu kaufen, womit das aus allen Nähten platzende Hotel erheblich vergrößert werden konnte. In dem neuen Trakt sollten weitere Gästezimmer, ein Restaurant und zusätzliche Separees errichtet werden, die sich als Rendezvousplätze adeliger Herren mit Ballettmädchen und Vorstadtschönen größter Beliebtheit erfreuten. Julius war zur Stelle, um Anna mit einem großzügigen Darlehen aus seiner Privatschatulle auszuhelfen.

Er muss in seinen Dienstjahren im Bankhaus Rothschild tatsächlich ein Vermögen verdient haben, übergab er Anna Sacher doch mehrere Schuldscheine in Höhe von insgesamt 670.000 Kronen (heute rund 3,8 Millionen Euro).

Anna verzweifelt

Als Julius Schuster 1916 im Alter von 75 Jahren starb, hat die Frau Sacher ihren engsten Freund und Berater verloren. Wie mir Anna Sachers Cousine Carla Sacher – die sie noch persönlich gekannt hatte – im Jahr 1989 anvertraute, ist Anna an Julius Schusters Tod verzweifelt. Sie hat sich von da an statt ums Hotel nur noch um Pferdewetten gekümmert.

Die fast 700.000 Kronen, die Schuster der Frau Sacher geliehen hatte, hat sie wohl nie retourniert, sie wäre auch gar nicht in der Lage dazu gewesen. In ihrem letzten Lebensjahr war Anna Sacher zahlungsunfähig, am 25. Februar 1930 ist sie 70-jährig im Hotel Sacher gestorben.

Foto: /Privat

Die  armen Nachfahren der Familie Sacher

In dem   Buch „Fundstücke“ werden erstmals unbekannte Dokumente der Familie Sacher gezeigt, darunter private Briefe der Anna Sacher sowie die Testamente ihres Mannes Eduard und ihres Schwiegervaters, des Tortenerfinders Franz Sacher.
Dem bisher unveröffentlichten Nachlass ist zu entnehmen, dass Eduard Sacher in seinem „Letzten Willen“ verfügte, dass neben seiner Witwe Anna Sacher und den drei gemeinsamen Kindern auch seine 26-jährige Tochter Rosa aus seiner ersten Ehe Hotelanteile im Wert von 500.000 Kronen (drei Millionen €) erben würde. Daraus ergaben sich später riesige Erbschaftsstreitereien.
Rosa Sacher heiratete einen Gastwirtssohn, mit dem sie ein so ausschweifendes Leben führte, dass sie ihr gesamtes Vermögen verlor.


Gegenseitiger Hass

Obwohl sich im Lauf des Erbschafsstreits ein gegenseitiger Hass aufgestaut hatte und Anna ihrer Stieftochter hohe Summen für die Ablöse ihrer Hotelanteile zahlen musste, schickte Rosas ebenfalls verarmte Tochter Hermine 1927 einen Bettelbrief an Anna Sacher, auf den die Hoteliersfrau antwortete: „Liebe Hermine“, schrieb Anna, „ich will Ihnen zu Liebe Ihrer Mutter jeden Monat 50 Schilling schicken. Sie selbst verdient meine Nachsicht und mein Vergessen nicht, sie hat mir in unerhörter Weise Alles angetan, was man einem Menschen antun kann. Ich kann vielleicht verzeihen, aber nicht vergessen. Anna Sacher.“
Im Jahr 1907 trat Rosa dann auch das Erbe ihres mit 90 Jahren verstorbenen Großvaters, des Tortenerfinders Franz Sacher, an. Doch auch sein Nachlass konnte sie und ihre Tochter Hermine nicht aus ihren finanziellen Nöten befreien. Laut dem mir ebenfalls vorliegenden Testament des Franz Sacher hatte er seiner Enkelin  und seiner Urenkelin je 8000 Kronen  (heute je rund 50.000 Euro) vermacht.


Annas  Kinder

Rosa Sacher starb trotz mehrerer Erbschaften in großer Armut. Und auch ihre Tochter Hermine verbrachte ihren Lebensabend in wirtschaftlicher Not. Die Enkelin des reichen Hoteliers Eduard Sacher lebte bis zu ihrem Tod im Jahr 1982 in einer Zimmer-Küche-Kabinett-Wohnung in der Schüttelstraße in Wien-Leopoldstadt.
Eduards Kindern aus seiner zweiten Ehe mit Anna Sacher sollte es nicht besser ergehen. Tochter Franziska verstarb noch im Kindesalter, Sohn Eduard Sacher jun. ging mit einem von ihm gegründeten Kaffeehaus pleite, und Tochter Anna wurde mit dem Sohn des Rothschild-Zentraldirektors Julius Schuster verheiratet und beging knapp vier Jahre nach der Eheschließung Selbstmord.

Foto: /Amalthea Verlag

"Fundstücke"

Der KURIER bringt ab heute Auszüge aus dem eben erschienenen Buch von Georg Markus, „Fundstücke“, in dem er historische Geschichten erzählt, die sich aus ihm zugespielten Tagebüchern, Briefen, Testamenten und anderen Dokumenten ergeben.  Darunter: „Das Tagebuch des letzten Adjutanten Kaiser Franz Josephs“, „Der verliebte General“, „Beethovens einzige Geliebte“, „Der Anfang vom Ende der Donaumonarchie“, „Eine Kaiserin wird wahnsinnig“, „Verbotene Briefe aus dem Konklave“, „Frau Alma hatt’ auch einen Pfarrer“, „Malerfürst und Tochter der Sünde“, „Schloss Mayerling  – vor der Tragödie“ u. v. a. Amalthea Verlag, 280 Seiten, zahlreiche Fotos und Dokumente, € 25,-. Erhältlich im Buchhandel oder – handsigniert vom Autor – im

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