Wien. Wohnen ist in Österreich heiß begehrt – und es wird teurer, denn die Bevölkerung wächst. Das betrifft vor allem Ballungsgebiete. Nun gibt die Stadt Wien sich eine neue Bauordnung, und die ÖVP-FPÖ-Regierung hat einen Umbau des Wohnrechts im Regierungspakt verankert, bei dem aber noch viele Fragen offen sind.
Schon konkret – und umstritten – sind Details der Wiener Bauordnung, wonach der Abriss von Gründerzeithäusern erschwert werden soll. Gleichzeitig sollen raschere Bewilligungsverfahren das Tempo am Bau erhöhen und mehr Wohnungen bringen. Beschlossen werden soll die Wiener Bauordnung im Herbst 2018. Was werden die Auswirkungen sein, und wie können neue Spielregeln helfen, mehr Wohnraum zu schaffen?
Darüber diskutierten jetzt die Profis am runden Tisch von ÖSTERREICH: Hans Jörg Ulreich (Obmann der Interessengemeinschaft Private Immobilienwirtschaft, IGPI), Michael Klement (Chief Operating Officer von Invester), Andreas Holler (Geschäftsführer Property Development Österreich der Buwog), Roland Pichler (Geschäftsführer Die Wohnkompanie), Michael Leifert (Leitung Investment Wiener Komfortwohnungen), Alexander Scheuch (Managing Director Rustler Immobilientreuhand) und Harald Keller (Geschäftsführer Familienwohnbau).
© Harald Artner
ÖSTERREICH: Was halten Sie von der neuen Wiener Bauordnung?
Hans Jörg Ulreich: Für ein Urteil ist es noch zu früh, aber das Ganze klingt grundsätzlich vernünftig. Endlich ein Entwurf, der auch Forderungen der Branche mitberücksichtigt. Mit dem erschwerten Abriss von Gründerzeithäusern schießt sich die Stadt aber ordentlich ins Knie!
Andreas Holler: Man hat das Gefühl, es geht einen Schritt vor und zwei Schritte zurück. Mit der neuen Bauordnung kommen tatsächlich einige kleine Verbesserungen, aber die ganz großen Schritte, um Bauverfahren tatsächlich zu beschleunigen, sind aktuell noch nicht zu sehen. Ich glaube, da gibt es noch viel mehr zu tun, vor allem für größere Bauträger, die den Wohnraumbedarf erfüllen wollen, aber auch für kleinere. Aus meiner Sicht ist da mehr Marketing dahinter, als dass wirklich große Schritte gesetzt werden.
Alexander Scheuch: Die bisherigen Novellierungen sind aus meiner Sicht deutlich zu wenig weit gegangen. Die Chance wäre jetzt da. Ich glaube, dass wir innerstädtisch einfach mehr bauen müssen – und auch höher bauen sollten. Mit Wachstum am Stadtrand allein wird der Bedarf an Wohnraum dauerhaft nicht gedeckt werden können. Bewilligungen müssten schneller erfolgen, Verfahren beschleunigt und Normen entrümpelt werden. Was die Stadterweiterung betrifft, müssten auch die Flächenreserven der Stadt Wien zügiger der Wohnraumschaffung zugeführt werden. Zum Thema Gründerzeitbauten: Ich glaube, was Wien in diesem Bereich leistet, und was Eigentümer in die Qualität dieser Liegenschaften investieren, kann sich international sehen lassen. Man sollte nicht Einzelfälle politisch zum Anlass nehmen, um über die Branche herzuziehen, sondern es viel differenzierter und weniger emotional sehen.
Michael Klement: Ein großer Wurf ist definitiv noch nicht am Tisch. Ein wesentliches Thema, das uns als Wohnraumentwickler betrifft, ist, dass man einfach in den Genehmigungsläufen mehr Transparenz und schnellere Abwicklung braucht. Wenn man weiß, es dauert eine bestimmte Zeit, dann ist das in Ordnung – aber man darf sich nicht in den Mühlen der Abläufe verlieren. Ein Thema sind auch die viel genannten Pflichtstellplätze. Man muss sich genau anschauen, in welchen Lagen man welche Anzahl an Stellplätzen braucht und in welchen Lagen das nicht der Fall ist. Was mich besonders freut, ist, dass Nachhaltigkeit und Klimaschutz noch mit aufgenommen werden. Ich glaube, man sollte trotz aller Schnelllebigkeit auch auf die nächsten Generationen schauen, was die Entwicklung des Wiener Wohnbaus betrifft.
Guter Wille ist zu sehen, noch mehr muss folgen
Roland Pichler: Ich sehe es auch so, dass es für eine umfassende Gesamtaussage noch zu früh ist. Teilbereiche wie das Thema Abbruch sind schon angesprochen worden. Wir müssen jeglichen Abbruch im Vorfeld bewilligen lassen. Das ist ein großer Schritt zurück, wo es doch eigentlich darum geht, die Verfahren zu beschleunigen. Man muss das auch im größeren Zusammenhang sehen. Die Bauordnung hängt zusammen mit Raumordnung, Mietrechtsgesetz, Wohnungseigentumsgesetz. Grundsätzlich gäbe es einiges zu tun. Aber es ist ein erster Schritt und einiges ist positiv. Anderes ist eher ein Schritt zurück aus meiner Sicht.
ÖSTERREICH: Herr Keller, wie sehen Sie die neue Bauordnung vom Standpunkt eines gemeinnützigen Wohnbauträgers aus?
Harald Keller: Es ist immerhin ein Anfang. Unsere großen Probleme, etwa steigende Baukosten, wird man damit nicht lösen, aber ich glaube, dass es politisch einmal wichtig ist, dass überhaupt etwas geschieht. Wir haben beim letzten Mal mit der Neuordnung der Stellplätze-Regeln einen Fortschritt gesehen, der im Neubau doch etwas gebracht hat. Ich glaube, dass der Wille da sein muss und das man zeigen muss, dass etwas passiert.
ÖSTERREICH: Wie gut sind wir in Österreich verglichen mit anderen Ländern, was die Verwaltung im Bereich Wohnbau betrifft, sind wir Vorzeigeland oder doch eher Schlusslicht?
Holler: Deutschland sind wir nicht voraus, hinken aber auch nicht hinterher. Das ist auch im Vergleich mit anderen kontinentaleuropäischen Ländern so. Im angelsächsischen Raum sind Behördenverfahren meist weniger kompliziert, es gibt aber auch Bereiche, wo wir in Österreich vielleicht besser dran sind. Die Kernfrage ist, ob wir überadministriert sind. Es müsste mehr zentral gesteuert werden, was mit den Verfahren zu tun hat. Es geht nicht nur um das Baurecht, es gibt auch das komplizierte Mietrechtsgesetz. Da blickt keiner durch, der nicht von hier ist, und die von hier blicken auch nicht immer zu 100 Prozent durch. Andererseits sind wir im Bereich des leistbaren Wohnens Herzeigeland, viele internationale Bauträger kommen, um sich anzuschauen, wie das in Wien funktioniert, wie beispielsweise die Gemeinnützigkeit funktioniert. Wir jammern viel, aber es gibt auch viele positive Aspekte.
Scheuch: Österreich wird bei Lebensqualität und Wohlstand an vorderster Front genannt. Im Mietpreisdurchschnitt rangieren wir jedoch im unteren Drittel der EU-Staaten. Es wäre falsch, aus dieser Unterbewertung des Standorts einen hohen Preisaufwärtstrend oder -druck abzuleiten, auch weil die Umstände, etwa der Einkommensanteil, den die Bevölkerung für Wohnen ausgibt, stark variieren. Was mir mehr Sorgen bereitet, inwieweit es uns gelingt, den Standort Wien und Österreich für Unternehmen und neue Firmen, die in viel zu geringer Anzahl zu uns kommen, wieder attraktiver zu machen. Nur so können die Büroflächen auf Dauer gut ausgelastet und Nachfrage nach hochpreisigen Mietwohnungen geschaffen werden, jene Segmente, wo wir derzeit den höchsten Leerstand haben. Dies ist für mich ein zentraler Appell an die neue Bundesregierung und den designierten Wiener Bürgermeister.
ÖSTERREICH: Wie gut sind die in Österreich gebauten Wohnungen bei der Qualität im internationalen Vergleich?
Holler: Die Qualität wird bei uns hochgehalten. Im internationalen Vergleich ist die Durchschnittsqualität eines Neubaus bei uns wohl höher als in Frankreich oder in England usw. Aber nicht höher als zum Beispiel in der Schweiz.
ÖSTERREICH: Wie schaffen wir günstige Wohnungen?
Michael Leifert: Beim leistbaren Wohnen kommt es drauf an. Früher wollte sich jeder Wohnraum schaffen, im Idealfall für jedes Kind ein Zimmer. Jetzt ist es anders. Auf den Urlaub oder ein neues Handy verzichten, das wollen die Leute nicht mehr, unabhängig von der Einkommensschicht. Es ist wirklich die Hauptaufgabe in der Entwicklung, die Grundrisse so zu schärfen, dass man die Einschnitte ins tägliche Leben nicht merkt.
ÖSTERREICH: Der Trend geht also zu kleineren Flächen?
Keller: Ich glaube, der Trend ist ungebrochen, auch im geförderten Bereich. Es ist einfach so, dass die Wohnungen kleiner und kompakter werden. Gefördert bauen kann man nur über Wettbewerbe, wo die Stadt selbst Förderungen gibt. Viele matchen sich um Baugrundstücke, es wird zu wenig geförderter Wohnraum geschaffen.
ÖSTERREICH: Wie schätzen Sie die Immobilienmarktentwicklung ein? Man hört oft, dass der Markt zu Ruhe kommen wird, wenn die Zinsen wieder steigen. Gleichzeitig ist ja viel Geld am Wiener Markt.
Leifert: Ich sehe die Situation in Wien verglichen mit dem übrigen Europa nicht so dramatisch, wir haben immer einen stabilen Leerstandsgrad auf relativ niedrigem Niveau. Österreich ist ein Superstandort für die Zukunft. Ich hoffe nicht auf steigende Zinsen, aber man muss sich auf einen moderaten Anstieg der Zinsen gefasst machen. Da entscheidet sich dann vielleicht, ob ein Projekt noch positiv oder negativ ist – die Spreu scheidet sich vom Weizen. Grundsätzlich bin ich positiv eingestellt für die Zukunft des Marktes.
ÖSTERREICH: Tritt Beruhigung ein durch steigende Zinsen?
Ulreich: Nein, das geht nur mit mehr Wohnbau und mit einer treffsicheren Vergabe von Sozialwohnungen auch im Bestand. Wohnbau ankurbeln und Gründerzeit erhalten können nur rechtliche Erleichterungen. Sanierung ist einfach so teuer. Der Bund muss das Regierungsprogramm umsetzen, die Stadt Wien muss Nachverdichtung – also mehr Höhe und Dichte statt des Verbauens von grüner Wiese – zulassen.
ÖSTERREICH: Was wären die richtigen Signale der Politik?
Ulreich: Ein gemeinsamer Aktionsplan mit dem Bekenntnis zu Nachverdichtung, Umwelt- und Kulturschutz. Ein Gründerzeithaus kann nur ökologisch saniert werden, wenn ich ein Dachgeschoß aufstocken und Wohnungen angemessen vermieten darf. Innerstädtische Anrainerproteste verhindern nachhaltigen Wohnraum in der Stadt – am privaten Markt und bei den ganzen Gemeindebauten.