logo



[email protected]

Pestizidrückstände im Trinkwasser: Schützt uns die Regierung wissentlich zu wenig vor dem Gift?

27-11-2024, 09:07

Österreichs Trinkwasser wird seit zehn Jahren wider besseren Wissens ungenügend vor Pestizidrückständen geschützt. In einem am Mittwoch veröffentlichten "Themenpapier" wirft die Umweltschutzorganisation Global 2000 dem Landwirtschaftsministerium (BML) entsprechenden "Gesetzesbruch" und "Irreführung der Öffentlichkeit" vor. Das Ministerium wies die Anschuldigungen "aufs schärfste zurück" und bezeichnete sie als "unzutreffend und unbegründet".

den Rückstand "TFA" (Trifluoressigsäure) des Pestizids "Flurtamon" als für die menschliche Gesundheit (humantoxikologisch) "relevant" einzustufen (). Dies geschah in einem Bericht über "Biologische und humantoxikologische Relevanz von Pflanzenschutzmittelwirkstoff-Metaboliten" und gemäß des Vorsorgeprinzips der EU-Chemikalienverordnung.

"Ewigkeits-Chemikalie" mehrfach in Trinkwasser nachgewiesen

TFA ist Abbauprodukt von per- und polyfluorierten Alkylverbindungen (PFAS), die unter anderem in Pflanzenschutzmitteln als Wirk- und Beistoffe verwendet werden (und gehört selbst zu dieser Substanzklasse). Wegen seiner großen Beständigkeit in der Umwelt gilt TFA als "Ewigkeits-Chemikalie", so der Chemiker Helmut Burtscher-Schaden (Global 2000). Umweltschützer fanden TFA kürzlich in ganz Europa inklusive Österreich im Leitungs- und Mineralwasser, sowie in Flüssen und dem Grundwasser.

"Eine gesetzeskonforme Vorgehensweise des Landwirtschaftsministeriums in Reaktion auf die Einstufung von TFA als relevanten Pestizidmetaboliten hätte ein Überprüfung aller aufrechten Zulassungen von Flurtamon-haltigen Pestiziden beinhalten müssen", so Global 2000. In weiterer Folge wären auch die Zulassungen sämtlicher anderer Pestizide mit ähnlichen Wirkstoffen zu prüfen gewesen, erklärte der Burtscher-Schaden vor Journalisten: "Pestizide mit dem Potential zur TFA-Freisetzung hätten die Zulassung verloren und wären vom Markt verschwunden", meint er.

Global 2000 sieht Trinkwasserschutzversäumnis: Ministerium dementiert

"Der von Global 2000 genannte Wirkstoff (Flurtamon) wurde auf EU-Ebene bereits im Jahr 2018 nicht mehr genehmigt", so allerdings die Informationen aus dem Ministerium: "Daraufhin wurden im Jahr 2019 Zulassungen aller Pflanzenschutzmitteln auf Grundlage des Wirkstoffes Flurtamon in Österreich aufgehoben". Die Zulassungen irgendeines anderen Pflanzenschutzmittels, aus dessen Wirkstoff TFA gebildet werden könnte, wäre nur dann zu entziehen, wenn belegt ist, dass der bestimmungsgemäße Gebrauch des konkreten Mittels zu Verunreinigungen im Wasser jenseits eines zulässigen Grenzwerts führt.

"Das Landwirtschaftsministerium, das in Österreich auch für die Überwachung des chemischen Zustands des Grundwassers zuständig ist, verabsäumte es vier weitere Jahre, es auf TFA zu untersuchen", heißt es weiter in dem . Die erste behördliche Grundwasseruntersuchung auf TFA habe erst 2019 stattgefunden und offenbart, dass an sämtlichen 80 Messstellen "der gesetzliche Grenzwert für relevante Metaboliten überschritten wurde". Dass im "die Ergebnisse beschrieben, aber die Überschreitungen gesetzlicher Grenzwerte nicht erwähnt wurden, grenzt an bewusster Irreführung der Öffentlichkeit", sagte Burtscher-Schaden. Laut Ministerium gibt es jedoch "bis zum jetzigen Zeitpunkt keinen gesetzlichen Grenzwert für Grund- oder Trinkwasser", und demnach keine Möglichkeit einer Grenzwert-Überschreitung. Die Messungen seien damals auch nicht flächendeckend vorgenommen worden, sondern nur dort, wo "aufgrund der Nutzungen im Einzugsgebiet von einer möglichen Belastung auszugehen war."

Mittlerweile (im Jahr 2021) habe auch der Pestizid-Hersteller Bayer die EU darüber informiert, dass TFA bei Tieren schwere Missbildungen bei Föten verursacht, sowie die Einstufung der Substanz als "vermutlich reproduktionstoxisch (fortpflanzungsgefährdend, Anm.) beim Menschen" beantragt. "Dieses fortpflanzungsgefährdende Potential dürfte [...] schon alleine für sich genommen notwendig machen, bestehende Zulassungen von Pflanzenschutzmitteln, die TFA freisetzen, zu ändern oder zu widerrufen", schrieb der Jurist Peter Hilpold von der Universität Innsbruck in einem im September veröffentlichten Rechtsgutachten, das er im Auftrag von Global 2000 erstellt hatte. Das Ministerium sieht keine rechtlichen Voraussetzungen hierzu: "Derzeit liegen keine ausreichenden Erkenntnisse vor, dass die Verwendung eines konkreten (zugelassenen) Pflanzenschutzmittels zu einer unannehmbaren Auswirkung auf Grund- oder Trinkwasser führt", heißt es von dieser Seite. Die Europäische Chemikalienagentur (ECHA) würde derzeit eine humantoxikologische Bewertung durchführen und die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) die toxikologischen Grenzwerte überprüfen. "Das BML wird die Prüfung von ECHA und EFSA genau verfolgen und daran anschließend die erforderlichen Schritte setzen", so die Informationen aus dem Ministerium.

(APA/Red.)

Nachrichtenquelle


© 2017-2024 wienpress.at [email protected]