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Strudelwürmer, Muschelkrebse, Milben: Wiener Untergrund alles andere als ausgestorben

1-09-2024, 07:00

Im nassen Untergrund Wiens trotzt eine Vielfalt an Krebstierchen, Würmern, Schnecken und Milben widrigen Lebensumständen wie Hitze, Verschmutzung und Sauerstoffmangel, so der Ökologe Christian Griebler zur APA.

Er fand in 150 Grundwasserbeobachtungsstellen der Metropole knapp hundert Tierarten. Sein neuer Plan der Metropole zeigt, wo die Wasserfauna ihre tieferliegenden Feuchtgebiete dicht besiedelt, und wo die Wohngebiete für solche Tierchen unterirdisch schlecht sind.

Schnecken und Milben im Wiener Grundwasser

In vielen Gebieten unter der Großstadt können Tiere zwar nicht überleben, sagte Griebler, der am Department für Funktionelle und Evolutionäre Ökologie der Universität Wien forscht. Etwa ein Drittel des Wiener Grundwassers enthält nämlich für die Tiere schädliche Verunreinigungen etwa mit dem Schwermetall Mangan, Methangas und Schwefelwasserstoff aus undichten Abwasser-Leitungen oder keinen lebenswichtigen Sauerstoff. Wo jedoch Substanzen mit stark negativen Auswirkungen fehlen und Sauerstoff zum Atmen vorhanden ist, sei die Vielfalt der Fauna für ihn überraschend hoch.

Ein Team um Griebler zählte fünfzig Arten von Kleinkrebsen, wie Flohkrebse, Asseln, Muschelkrebse, Brunnenkrebse und Hüpferlinge. Außerdem gibt es Gliederwürmer, Fadenwürmer und Strudelwürmer im Wasser unter der Stadt, wie auch Schnecken und Milben. "Es wurden für die Wissenschaft völlig neue Arten gefunden und sogenannte endemische Arten, die mutmaßlich nur in Wien leben", erklärte er. Insgesamt leben hier 80 bis 100 Tierarten. Die genaue Zahl wisse man erst, wenn jeder einzelne Fund von Experten eindeutig identifiziert sei.

Blinde und durchsichtige Tiere unter Wien

Der Großteil dieser Tierchen lebt ausschließlich in der Finsternis unter der Stadt und hat sich vollständig daran angepasst. Sie haben dann weder Augen noch Farbeinlagerungen (Pigmente), sind also durchsichtig und blind. Außerdem bemüßigt man sich im Untergrund einer gemütlicheren Lebensweise als an der Oberfläche. Weil es hier weniger Nahrungsmittel gibt, haben die Bewohner einen langsameren Stoffwechsel, werden teils erst nach mehreren Jahren geschlechtsreif und zeugen oft nur wenige Nachkommen. "Wenn dieses System gestört wird, funktioniert daher zum Beispiel nach Renaturierungsmaßnahmen eine Wiederbesiedlung nur sehr langsam", sagte der Ökologe. Manche Tiere bewohnen das Grundwasser wiederum nur zeitweise als Jugendliche oder Larven, wie etwa Steinfliegen. Zum Schlüpfen müssen sie aus dem Untergrund auftauchen.

Die Vielfalt ist in der Wiener Unterwasserwelt ungleich verteilt. Die Innenstadt sei zum Beispiel reichlich belebt. "Im ersten Wiener Gemeindebezirk ist die Belastung durch Abwässer zwar hoch, aber es gibt genügend Sauerstoff, um vielen Organismen eine Lebensgrundlage zu gewähren", so Griebler: "Im Grundwasser zwischen dem Entlastungsgerinne und der Alten Donau, sowie im Bereich des Ölhafens waren dagegen kaum Tiere zu finden." Dort ist ihr Lebensraum nämlich fast durchgehend sauerstofffrei. Das liegt mutmaßlich daran, dass beim Bau der Donauinsel viel undurchlässiger Auboden hierhin verfrachtet wurde, sagte er. "Zweitens hat das Kraftwerk Freudenau sicherlich einen Einfluss, indem dadurch feine Sedimente verfrachtet werden, die Lücken zustopfen", meint er: "Leider kann man hier mit Management-Maßnahmen recht wenig dagegen tun."

Höhere Temperaturen

Wo natürlicherweise grober Donauschotter liegt, haben die Tierchen hingegen mehr Lebensraum und Sauerstoff. Sie lieben auch reichlichen Nährstoffzulauf durch benachbarte Flüsse und eine nicht durch Beton versiegelte Oberfläche. Außerdem brauchen sie niedrige Temperaturen von maximal zwanzig Grad Celsius. Durch den Klimawandel, Fernwärmeleitungen und die Nutzung von Erdwärmesystemen als Klimaanlagen im Sommer sind diese jedoch auch im Grundwasser am Steigen. "Im vermeintlich kühlen Untergrund wurden in den vergangenen Jahren bereits Temperaturen bis zu dreißig Grad Celsius gemessen", so Griebler.

Bei Erdwärmesystemen sollte man deshalb immer auf ein ausgeglichenes Energiemanagement achten, also dass man nicht mehr Grundwasser zum Kühlen als zum Heizen gebraucht. Fernwärmeleitungen gehörten bestmöglich isoliert, und Leckagen in den Abwassersystemen gestopft, um den Eintrag von Schadstoffen zu verringern. Außerdem sollte man die Bodenversiegelung durch Beton vermindern, denn sie ist laut Griebler der Hauptgrund für die starke Erwärmung des Wiener Untergrunds.

"Erste Landkarte der Wiener Grundwasser-Tierwelt" nächste Woche

Der Ökologe präsentiert seine "Erste Landkarte der Wiener Grundwasser-Tierwelt" sowie ihre Entstehungsgeschichte am kommenden Montag bei einem Vortrag im Haus des Meeres.

(APA/Red)

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