
Nach der Tötung einer 14-Jährigen in Wien-Favoriten hat der Bruder des Opfers angegeben, seine Schwester im Streit erstochen zu haben. Er habe sie zufällig bei einer U-Bahn-Station getroffen und sie überreden wollen, nach Hause zurückzukehren, zitierte Polizeisprecher Harald Sörös am Dienstag aus der Einvernahme. Sie bereite "den Eltern Kummer", lautete ein Vorwurf des 18-Jährigen an das Mädchen.
Nachdem sich der , wurde er bis in die Abendstunden von Ermittlern der Mordgruppe des Landeskriminalamts einvernommen. Der Afghane wohnt selbst nicht mehr bei seiner Familie, sondern nach eigenen Angaben abwechselnd bei Freunden und Bekannten. Seine Schwester war in der Vorwoche in ein Krisenzentrum des Jugendamts gezogen, weil sie sich daheim zu sehr eingeengt gefühlt hatte.
Nach eigenen Angaben erkannte der Angeklagte seine Schwester in der Früh bei einer U-Bahn-Station und stellte sie zur Rede. Das Mädchen habe nicht in aller Öffentlichkeit diskutieren wollen, daher seien die beiden in Richtung des späteren Tatorts in der Puchsbaumgasse gegangen, erläuterte Sörös. Dort ist nach Angaben des 18-Jährigen ein heftiger Streit entstanden, worauf sie von der Straße in den Innenhof eines Hauses gingen.
Die Auseinandersetzung sei eskaliert. Daraufhin haber er seine Schwester mit mehreren Messerstichen tödlich verletzt, gestand der junge Mann in der Einvernahme. Bei dem Messer handelte es sich um eine Waffe mit 20 Zentimeter langer Klinge, sagte Sörös. Der 18-Jährige hatte es am Tatort weggeworfen, die Ermittler stellten es sicher. Der Beschuldigte sollte am Dienstag in eine Justizanstalt überstellt werden.
Der Festgenommene dürfte allein gehandelt haben. Die Familie hatte laut Sörös nichts davon gewusst und mit dem 18-Jährigen vor der Tat keinen Kontakt. Der Vater lebt demnach seit einigen Jahren in Österreich, seine Frau, die 14-Jährige und eine heute 16-Jährige Schwester sowie zwei Brüder folgten ihm mit der Zeit. Zwei weitere Söhne wurden bereits in Wien geboren. Die gesamte Familie bekam Asyl zugesprochen.
So unverständlich ein Ehrenmord für einen Europäer sein mag, mit dem entsprechenden kulturellen und moralischen Hintergrund sei es nichts "Schlimmes", erläuterte der Psychologe Cornel Binder-Krieglstein. Schande für die Familie versus den Erhalt des Lebens sei im Westen eine klare Sache, moralisch und durch Gesetze eindeutig geregelt. Mit einem anderen Background sehe das anders aus.
"Mit seinem kulturellen Hintergrund will er die Familie retten und beschützen - und tut nichts Schlimmes", sagte der Experte. Wenn man etwa durch den Diebstahl eines Baggers ein verschüttetes Kind aus den Sandmassen retten könne, sei das Leben des Kindes ein höheres Gut als der Diebstahl. Entsprechend sei dann die Ehre der Familie ein höheres Gut als das Leben der Schwester oder sogar das eigene, da man sich der drohenden Strafe auch bewusst sei.
Dass bei Ehrenmorden des öfteren die jüngeren Brüder als Täter auftreten, könne laut dem Psychologen verschiedene Gründe haben: Dass etwa der Familienrat den untersten in der Hierarchie dazu bestimmt, aber auch dass der Jüngste eine niedrigere Strafe zu erwarten hat. Denkbar sei aber auch, dass es als "Ehre" gesehen wird, die Bluttat zu verüben.
Laut Binder-Krieglstein stelle sich die Frage, wie Integration verlaufen kann: "Dies kann nur funktionieren, wenn die moralischen Gegebenheiten des Landes übernommen und beachtet werden und man dies auch aus Überzeugung lebt." Äußerlichkeiten seien dabei nicht so wichtig, auch in die USA ausgewanderte Österreicher hätten gerne Apfelstrudel als Erinnerung an das frühere Leben genossen. Doch wie sieht es innerlich aus? Identifiziert man sich mit dem Land oder lebt man in einer Blase mit dem Ziel, sich nicht integrieren zu wollen oder zu können, fragte der Psychologe.
