In Östereich soll es im Sommer zwei Gewaltambulanzen geben, eine neue in Wien, jene in Graz wird erweitert.
Mit dem Projekt, das später bundesweit ausgerollt werden soll, will die Regierung die Verurteilungsquote von Gewalttätern erhöhen. Wie das in der Praxis funktioniert, erzählte Juliane Glas, Bereichsleiterin der Klinischen Gerichtsmedizin in Graz, im Gespräch mit der APA. Steigerungspotenzial sieht sie bei der Anzahl an Gerichtsmedizinern und -medizinerinnen im Land.
Untersuchungen seien sehr individuell
Schon seit 2008 können sich von Gewalt betroffene Menschen an die zum Diagnostik- und Forschungsinstitut für Gerichtliche Medizin an der MedUni Graz gehörende Gewaltambulanz wenden. Oft sind das Betroffene häuslicher Gewalt, aber auch Folgen von sexualisierter Gewalt, etwa Vergewaltigungen, sehen die Grazer Gerichtsmediziner häufig. Von den 150 Untersuchten des vergangenen Jahres sei zwar nur ein Sechstel männlich gewesen, die typische Patientin, den typischen Patienten gebe es aber nicht, meinte Glas. Personen jeden Alters werden in der Gewaltambulanz untersucht - 19 Untersuchungen wurden 2023 aufgrund von Verdacht auf Kindesmisshandlung oder -missbrauch durchgeführt.
Für eine gerichtsverwertbare Untersuchung in der Ambulanz sollte zunächst telefonisch ein Termin vereinbart werden, schließlich seien die Untersuchungen sehr individuell: "Es kann sein, dass wir zum Beispiel bei sexualisierter Gewalt noch Gynäkologen und Gynäkologinnen oder bei Gewalt gegen den Hals HNO-Ärztinnen und -Ärzte hinzuziehen wollen", erklärte die Gerichtsmedizinerin. Abhängig von Alter, Geschehen und Verletzungen finden die klinisch-forensischen Untersuchungen in der Ambulanz oder mobil z. B. in der Kinderklinik oder der Gynäkologischen Klinik statt. Häufig würden Ärzte oder Jugendämter Patienten vorstellen. In der Regel bekomme man einen Termin am selben, spätestens am nächsten Tag. Die Untersuchung ist kostenlos, auch die E-Card müssen Patientinnen und Patienten nicht zücken. Verletzungen werden fotografisch dokumentiert. Gibt es den Hinweis, dass Betroffene gekratzt, geküsst oder gebissen worden sein könnten, können Hautabstriche auf DNA-Spuren untersucht werden, fallabhängig können auch Kleidungsstücke asserviert und Urin- und Blutproben genommen werden.
Zwei Gewaltambulanzen sind im Sommer betriebsbereit
Ohne diese Dokumentation komme es vor Gericht häufig zu sich widersprechenden, nicht belegbaren Aussagen, sagte Glas. Die Befunddokumentation und die Asservate werden nach der Untersuchung zurückgestellt, sodass Betroffene Zeit haben, sich zu überlegen, ob sie Anzeige erstatten wollen. Bisher betrug der Zeitraum ein Jahr, in Zukunft wolle man ihn auf zehn Jahre ausdehnen. Eine Anzeige ist nämlich keine Voraussetzung für eine Untersuchung.
Aus einer Studie wisse man, "dass sich die meisten Frauen, die später Opfer eines Femizids geworden sind, nicht an die Behörden gewandt haben, obwohl es bereits Gewalt in ihrer Beziehung gegeben hat. Das müssen wir ändern", betonte Justizministerin Alma Zadić (Grüne) in einem Statement gegenüber der APA. Das Konzept der Gewaltambulanzen will die Regierung deshalb auf das gesamte Bundesgebiet ausrollen. Von der ersten Modellregion Ost-Süd werden Wien, Niederösterreich, das Burgenland, die Steiermark und Kärnten umfasst. Die Pilotprojekte sollen laut dem Frauenministerium wissenschaftlich begleitet und evaluiert werden.
Zusammenarbeit mit der MedUni Wien und dem Zentrum für Gerichtsmedizin
In Zusammenarbeit mit der MedUni Wien und dem Zentrum für Gerichtsmedizin entsteht für die Modellregion Ost die Gewaltambulanz in Wien. Sie soll - zunächst im Rahmen eines telefonischen Konsiliardienstes - rund um die Uhr erreichbar sein, schrittweise ausgebaut werden und im Sommer dieses Jahres ihre Arbeit aufnehmen. Auch der Fördervertrag soll zeitnah unterschrieben werden, hieß es auf APA-Anfrage aus dem Justizministerium. In Graz steht der Vertrag bereits, derzeit finden Umbauarbeiten statt. In Zukunft soll auch die Ambulanz in Graz rund um die Uhr erreichbar sein und Südösterreich versorgen. Der Vollbetrieb soll im April starten. Ländliche Gebiete sollen durch mobile Verfügbarkeit der Gewaltambulanzen erreicht werden. Das Geld dafür kommt aus dem Justiz-, Innen- und Gesundheitsministerium sowie dem Bundeskanzleramt. Gespräche mit den gerichtsmedizinischen Instituten in Innsbruck und Salzburg würden laufen. Noch 2024 soll das Projekt laut Justizministerium auch auf den Westen Österreichs ausgerollt werden.
Den Bedarf für einen Ausbau und die Flächenversorgung sieht Glas als gegeben, allerdings gebe es Probleme bei der Besetzung. Derzeit würden die personellen Ressourcen eine Rufbereitschaft rund um die Uhr nicht zulassen. "Faktisch haben wir einfach zu wenige Ärztinnen und Ärzte", so Glas über die Gerichtsmedizin. In ganz Österreich gebe es nur fünf Assistenzärztinnen und -ärzte - "und zwei davon haben wir". Aktuell seien es etwa 29 Fachärzte im Land. Bis 2028 würden außerdem 46 Prozent aller Gerichtsmediziner Österreichs in den Ruhestand gehen. Dem will man in Graz entgegenwirken und mehr Assistenzärzte ausbilden, aber auch mit dem neuen Universitätslehrgang "Forensic Nursing" Pflegepersonal schulen, Gewaltfolgen zu erkennen und gerichtsverwertbar Spuren zu dokumentieren.
In der Modellregion Ost sollen zunächst auch speziell geschulte Allgemeinmedizinerinnen und -mediziner in der Ambulanz tätig sein können, so das Justizministerium. In der Modellregion Süd gebe es nach derzeitigem Stand ausreichend Gerichtsmedizinerinnen und -mediziner, hieß es. Durch den Ausbau würden zudem neue Stellen geschaffen, wodurch auch die Ausbildung von mehr Gerichtsmedizinern ermöglicht werde.