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Kopf auf Asphalt geschlagen: Prozess um Polizeigewalt in Wien

22-01-2024, 14:34

Am Montag hat sich ein Polizist, der am 7. Mai 2023 in Wien-Simmering den Kopf eines 19-Jährigen mehrfach auf den Asphaltboden geschlagen hatte, am Montag am Landesgericht zum Vorwurf des Amtsmissbrauchs "nicht schuldig" bekannt.

"Ich wüsste nicht, was ich sonst hätte tun sollen", sagte der 34-Jährige. Für Verteidiger Klaus Heintzinger war das Vorgehen seines Mandanten "verhältnismäßig und gerechtfertigt", für Staatsanwältin Anja Oberkofler dagegen "völlig überschießend".

"Exzessives, nicht gerechtfertigtes Ausmaß" an Gewalt wurde geortet

Bereits im Strafantrag hatte die Anklagebehörde ein "exzessives, nicht gerechtfertigtes Ausmaß" an Gewalt zur bloßen Durchsetzung einer Identitätsfeststellung geortet. Die Staatsanwältin bekräftigte das in der Hauptverhandlung. Der Angeklagte habe sich auf den von anderen Polizisten bereits zu Boden gebrachten und fixierten jungen Mann gekniet und "aus der Emotion heraus völlig überschießend, exzessiv reagiert", indem er den Kopf des Betroffenen "nicht ein Mal, sondern zwei Mal mit voller Wucht gegen den Asphalt gedonnert hat", wie Oberkofler wörtlich sagte. Die Behauptung des Angeklagten, er habe das Gleichgewicht verloren, sei "ins Reich der Märchen zu verweisen".

Der 19-Jährige habe an der Absperrung eines Mord-Tatorts mit einem Kollegen "gekämpft", weil dieser ihn nicht zu einem Bankomaten durchlassen wollte, führte der Angeklagte in der Beschuldigteneinvernahme aus. Der Mann wollte nicht einsehen, warum er nicht passieren durfte, nur weil im gegenüberliegenden Geschäft die Spurensicherung in Gang war. In dem Geschäftslokal war kurz zuvor einem 38-Jährigen ins Herz geschossen worden, der wegen des Misshandlungsvorwurfs angeklagte Polizist hatte am Tatort dem Sterbenden "noch den Puls gefühlt", wie er nun im Grauen Haus darlegte. Er sei deswegen psychisch und körperlich "sehr belastet" gewesen, er habe schon seit Stunden eine kugelsichere Schutzausrüstung und einen schweren Helm getragen.

Er habe in dieser Situation an der Polizeiabsperrung "ein kniendes Gerangel" wahrgenommen: "Für mich war der Eindruck, dass jemand mit Gewalt eine Auseinandersetzung sucht mit der Polizei." Ein Kollege habe auf die verweigerte Ausweisleistung die Festnahme des 19-Jährigen wegen Widerstands gegen die Staatsgewalt ausgesprochen. Er habe geholfen, diese durchzusetzen, indem er den zu Boden gebrachten jungen Mann mit zu bändigen versuchte, was insgesamt vier bereits damit befasste Kollegen zunächst nicht geschafft hätten, berichtete der 34-Jährige, der 2015 in den Polizeidienst eingetreten war.

Prozess um Polizeigewalt in Wien: Mann nicht geständig

Er habe mit seinem Knie den Mann fixiert. Dieser habe es aber geschafft, seine linke Hand zu befreien. Da habe er befürchtet, dieser könnte ihm in die Jacke greifen und an seine Schusswaffe gelangen, gab der Angeklagte zu Protokoll. Beim Versuch, das zu verhindern, habe er "das Übergewicht bekommen", sei "verrutscht" und "vorübergefallen". Zugleich habe sich der junge Mann "aufgebäumt". Er habe verhindern müssen, "dass er aufkommt", und sich daher "am Kopf abgestützt".

"Ich wüsste nicht, was ich sonst hätte tun sollen", betonte der Angeklagte. Und weiter: "Ich wollte ihn nicht verletzen. Ich wollte eine strafprozessuale Festnahme durchsetzen." Er habe beim Abstützen am Kopf des Betroffenen womöglich "aus Versehen zu stark gedrückt", sei beim zweiten bzw. dritten Abstützen aber bemüht gewesen, den Druck zu reduzieren. Der Mann sei "verbal außer sich" gewesen. Er habe sich "bemüht, ihm zu helfen", nachdem er wahrgenommen hatte, dass sich Blutflecken am Asphalt gebildet hatten und der Mann sich offenbar verletzt hatte: "Ich habe die Wunde gesäubert und versucht, einen Verband anzulegen." Mittlerweile sei aber schon die Rettung zugegen gewesen, die habe die Versorgung übernommen.

19-Jähriger erlitt blutende Rissquetschwunde

Der 19-Jährige erlitt eine blutende Rissquetschwunde oberhalb des rechten Auges. Ein Puls24-Kameramann filmte die gewalttätigen Szenen mit, der TV-Sender machte das Video öffentlich, das in weiterer Folge viral ging. Ein weiteres, noch aussagekräftigeres Video wurde im Zug der Ermittlungen sichergestellt - ein Angestellter eines Imbiss-Lokals hatte die gewalttätigen Szenen mit seinem Handy gefilmt. Wie die Staatsanwältin dazu erklärte, habe dieser Zeuge sein Video zunächst nicht der Polizei übergeben wollen: "Er hat sich vor Repressalien gefürchtet." Es sei erst dank "akribischer Polizeiarbeit" gelungen, auf dieses Beweismittel zu kommen. Auch die Aufnahmen einer vor dem Lokal angebrachten Überwachungskamera hätten die ermittelnden Beamten sichergestellt. "Film- und Tonaufnahmen sind in letzter Zeit in Verruf geraten. Im gegenständlichen Fall haben sie dazu geführt, dass nicht das Opfer von Polizeigewalt auf der Anklagebank sitzt, sondern ein nach Ansicht der Staatsanwaltschaft gewalttätiger Polizist", hielt die Staatsanwältin fest.

Alle drei Videos wurden im Verhandlungssaal abgespielt. Besonders eindrücklich war das Handy-Video, auf dem sogar das Aufschlagen des Kopfes am Asphalt zu hören ist. Zu hören ist auch, wie der 19-Jährige lautstark "Was macht ihr? Was macht ihr? Was macht ihr?" schreit. Auch "Was soll das werden?" und "Was habe ich getan?" ruft der 19-Jährige.

Zwei Zeuginnen schilderten vor Gericht, dass es eine Polizeiabsperrung gab. Der 19-Jährige sei von der Polizei auch mehrfach auf diese Absperrung hingewiesen worden und dass er folglich nicht passieren dürfe. Der junge Mann sei darauf "sehr unfreundlich" geworden, sagte die eine. "Ich würde ihn als aggressiv bezeichnen", meinte die zweite. Er habe den Polizisten "nachgeschimpft", worauf man ihn angehalten und zur Ausweisleistung aufgefordert habe.

Er habe keine Absperrung gesehen und von der Polizei wissen wollen, warum er nicht durchdurfte, hielt der 19-Jährige demgegenüber in seiner Zeugenaussage fest: "Ich wollte den Grund wissen. Den habe ich nicht erfahren." Er sei in weiterer Folge zur Ausweisleistung aufgefordert worden, nachdem ein Beamter das Wort "Behinderte" vernommen und das als gegen die Polizei gerichtet empfunden hatte. Das Nicht-Legitimieren-Wollen habe die Polizei offenbar "als Bedrohung" empfunden, er sei mit einem Schulterwurf zu Boden befördert worden. In weiterer Folge hätten ihn sechs Polizisten - fünf Männer und eine Frau - zu fixieren versucht: "Ich wollte nicht. Ich habe meine Hände zusammengelegt."

19-Jähriger sagte vor Gericht in Wien aus

Der angeklagte Polizist habe "versucht, mich leise zu stellen, zu verstummen", erklärte der 19-Jährige, Sohn einer Ärztin und zumindest äußerlich dem Angeklagten körperlich unterlegen. Er habe nur auf seine Lage aufmerksam machen wollen: "Ich habe nur passiven Widerstand geleistet. Ich wollte nur Klarheit, warum ich zu Boden geworfen wurde, nur weil ich meinen Ausweis nicht herzeigen wollte." Auf die erlittenen Verletzungen angesprochen, meinte der 19-Jährige: "Meine Ader war offen und Blut ist raus gespritzt. Ich war selber aus der Fassung, dass das alles so eskaliert ist". Er habe sieben bis zehn Tage Schmerzen gehabt.

Mehrere Kollegen des Angeklagten berichteten im Anschluss übereinstimmend, der 19-Jährige habe sich "heftig gewehrt", sei "äußerst aggressiv" gewesen und habe "unbedingt freikommen" wollen. Man habe diesen zunächst auch mit dem Mord in Zusammenhang gebracht, aufgrund dessen es überhaupt eine Polizei-Absperrung gab, weil der Mann bei sommerlichen Temperaturen eine Wollhaube sowie eine dicke Bomberjacke trug. Die Polizei befürchtete, der winterlich gekleidete Mann könnte etwas mit den Schüssen zu tun haben und unter der Jacke womöglich eine Waffe verstecken.

Der 24-jährige Polizist, der den 19-Jährigen an der Polizei-Absperrung aufgehalten, zur Ausweisleistung aufgefordert und per Schulterwurf zu Boden befördert hatte, hat diesen sogar zivilrechtlich auf Schadenersatz verklagt. Ein Verfahren ist auf bezirksgerichtlicher Ebene anhängig. Der junge Polizist macht den 19-Jährigen für einen dreiwöchigen Krankenstand verantwortlich, weil dieser ihn "zu Boden gerissen" habe, wie der 24-Jährige als Zeuge im Grauen Haus sagte: "Ich habe fünf Tage ohne Schmerzmittel nicht schlafen können."

Die Staatsanwältin betonte daraufhin, die Anklagebehörde habe ein Verfahren gegen den 19-Jährigen wegen versuchten Widerstands gegen die Staatsgewalt sowie schwerer Körperverletzung eingestellt. Die Polizei habe diese Einstellung auch akzeptiert: "Es hat keinen Fortführungsantrag gegeben."

Nachdem sämtliche zur Verhandlung geladene Polizisten auffallend übereinstimmend den angeblich gewaltbereiten 19-Jährigen beschrieben hatten, verlangte die Staatsanwältin die Ladung und zeugenschaftliche Befragung des Imbisslokal-Betreibers, der die Szenen mit seinem Smartphone aufgezeichnet hatte. "Zur Waffengleichheit", wie die Anklägerin betonte. Das Gericht hatte diesen Zeugen - im Unterschied zu den an der Amtshandlung beteiligten Polizeibeamten - geladen. Der Senat wies diesen Beweisantrag nach kurzer Beratung ab.

Verhandlung in Wien wurde vertagt

Eine weibliche Polizeibeamtin, die sehr wohl eine Ladung erhalten hatte, hatte sich kurz vor Verhandlungsbeginn krankheitsbedingt entschuldigt. Ihre schriftlichen Aussagen wollte der vorsitzende Richter verlesen, wogegen sich nun die Staatsanwältin aussprach. Sie bestand auf ihrer persönlichen Aussage vor Gericht. "Dann gibt es heute kein Urteil", stellte der Richter darauf fest.

Die Verhandlung wurde schließlich auf den 21. Februar vertagt - zur Ladung der Polizistin sowie des Imbisslokal-Betreibers, den der Richter nun doch laden möchte. Dem Angeklagten drohen im Fall einer anklagekonformen Verurteilung secs Monate bis fünf Jahre Haft. Er wurde von der Landespolizeidirektion auch nach Einbringen der Anklage nicht suspendiert. Er arbeitet derzeit in Teilzeit und versieht Innendienst.

(APA/Red)

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