Nach dem Suizid einer stationär aufgenommenen Patientin wurde am Dienstag am Bezirksgericht Innere Stadt gegen einen Spitalsarzt wegen fahrlässiger Tötung verhandelt.
Die Anklage legt dem Psychiater zur Last, als diensthabender Oberarzt die Frau in einem Zimmer ohne Videoüberwachung untergebracht und somit von der gebotenen engmaschigen Überwachung Abstand genommen zu haben. Auch eine Erhöhung der von ihm verordneten Medikation habe der Arzt nicht in Betracht gezogen.
Prozess nach Suizid einer Patientin: Wiener Spitalsarzt vor Gericht
Der Angeklagte bekannte sich "aus gutem Grund nicht schuldig", wie sein Verteidiger Manfred Ainedter eingangs der Verhandlung erklärte. Der Arzt, der in der Zwischenzeit den Arbeitsplatz gewechselt hat, sagte dann in seiner Beschuldigteneinvernahme, die Frau sei "nicht suizidal eingeengt" gewesen: "Sie war nicht so psychotisch, dass man mit ihr kein Gespräch hätte führen können." Er sei nicht "von einer Umsetzungsabsicht" ausgegangen. Nach dem Unterbringungsgesetz habe er die Frau deshalb aufgenommen, weil diese sich verfolgt fühlte und "wie in einem Film" vorgekommen sei. Ein videoüberwachtes Zimmer wäre daher "kontraproduktiv" gewesen: "Das hätte ihre Paranoia weiter angeheizt."
Frau äußerte Selbstmordgedanken
Die Frau hatte sich am 27. Oktober 2021 auf eine Polizeiinspektion begeben und Selbstmordgedanken geäußert. Die Beamten gingen von einer Psychose aus und brachten die Mutter eines Kindes in ein Krankenhaus mit einer psychiatrischen Abteilung. Für die Polizeibeamten war "akute Selbstgefährdung" gegeben.
Assistenzarzt und Pfleger nahmen Ersteinschätzung vor
Im Spital nahmen zunächst ein junger Assistenzarzt, der sich zu Beginn seiner Facharztausbildung befand, und ein Pfleger die so genannte Ersteinschätzung vor. Dann zogen sie den erfahrenen Oberarzt bei, der der Frau Medikamente gegen psychotische Zustände sowie gegen Angst- und Spannungszustände verschrieb, die diese auch gleich bekam. Die Frau kam in weiterer Folge um 17.00 Uhr auf ein Zimmer. Bei einer Kontrolle um 18.00 Uhr sah der Pfleger die infolge der ihr verabreichten Medikamente sediert wirkende Frau im Bett sitzen. Eine dreiviertel Stunde später wurde sie dann leblos aufgefunden.
Frau war die Handtasche nicht abgenommen worden
Die beiden Rechtsvertreter des Witwers und des Kindes, die sich als Privatbeteiligte dem Strafverfahren angeschlossen hatten, thematisierten in der Verhandlung besonders den Umstand, dass der Frau nicht die Handtasche abgenommen worden war. "Ich habe die nicht als gefährlich wahrgenommen", sagte dazu der Angeklagte. Anders als ein Gürtel oder Schuhbänder sei eine Handtasche bei Patienten mit Suizidgedanken "per se kein gefährlicher Gegenstand". Der Frau die Handtasche wegzunehmen, wäre für ihn "nicht verhältnismäßig" gewesen, meinte der Angeklagte: "Ich wäre nie auf die Idee gekommen, dass man eine Handtasche dafür hernehmen könnte. Ich hätte ihr nicht zugetraut, so etwas zu machen." Die Frau hatte sich mit dem Gurt der Tasche erhängt.
"Er hat nicht die richtigen Entscheidungen getroffen, um den Suizid zu verhindern"
Die Staatsanwältin hielt an ihrer Anklage fest: "Er hat nicht die richtigen Entscheidungen getroffen, um den Suizid zu verhindern." "Ich wüsste nichts, was ich anders machen würde. Ich würde nichts anders machen", hielt dem der Oberarzt entgegen. Der Suizid der Patientin sei "in keinster Weise vorhersehbar gewesen", bekräftigte Verteidiger Ainedter: "Alles, was gemacht werden musste, ist passiert." Dem Angeklagten droht im Fall einer Verurteilung eine Freiheitsstrafe von bis zu einem Jahr oder eine Geldstrafe von bis zu 720 Tagessätzen.
Hilfe in verzweifelten Lebenssituationen
Sie sind in einer verzweifelten Lebenssituation und brauchen Hilfe? Sprechen Sie mit anderen Menschen darüber. Hilfsangebote für Personen mit Suizidgedanken und deren Angehörige bietet das Suizidpräventionsportal des Gesundheitsministeriums. Unter www.suizid-praevention.gv.at finden sich Kontaktdaten von Hilfseinrichtungen in Österreich.