Für den Fall einer FPÖ-Regierungsbeteiligung nach der nächsten Nationalratswahl - die voraussichtlich oder spätestens heuer im Herbst über die Bühne geht - sei es "nicht nur nicht auszuschließen, sondern auch wahrscheinlich, dass es zu Versammlungen von Menschen kommt, die eine vollkommen andere politische Richtung vertreten", so der Wiener Landespolizeipräsident Gerhard Pürstl.
Zwischen 10.000 und 11.000 Versammlungen hat die Wiener Polizei im Vorjahr registriert. "Da waren natürlich auch viele kleine dabei, bei denen die Polizei keine Arbeit hatte. Es gab 2023 aber auch viele Großdemos, auch durchaus heikle", sagte Pürstl im APA-Gespräch und verwies unter anderem auf die Demonstrationen zum Palästina-Konflikt. Für heuer erwartet Pürstl "vermutlich eine Verdopplung", nicht zuletzt wegen des Wahljahrs.
Demos von Klimaaktivisten als Herausforderung
Herausfordernd waren dem Landespolizeipräsidenten zufolge besonders die Demonstrationen von Klimaaktivistinnen und -aktivisten zur sogenannten Gaskonferenz in der Bundeshauptstadt im März 2023 und die Versammlungen im Gefolge des Überfalls der Hamas auf Israel im vergangenen Oktober. "Das ist natürlich schon hoch sensibel und hat die Polizei sehr gefordert", sagte Pürstl. Man habe in Wien aber eine Kultur für solche Demonstrationen entwickelt, wo die Polizei versuche, mit allen Seiten, mit den Veranstaltern und den Versammlungsteilnehmern umzugehen, zu schlichten, die Demonstrationszüge zu trennen und die Wogen niederzuhalten. "Es zeigt, dass im Wesentlichen nicht viel passiert, und wenn einmal etwas passiert, dann gibt es ein ganz klares und konsequentes Einschreiten der Polizei."
Das würden unter anderem die Versammlungen gegen die Gaskonferenz zeigen, in deren Zuge es 160 Festnahmen gab. "Ich glaube, es hat sich herumgesprochen, das weiß man, dass wir tolerant sind, dass wir schauen, dass wir Versammlungsfreiheit schützen, dass wir schauen, dass man Proteste auf die Straße bringen kann, aber dass wir ganz klare Schranken haben. Und das ist dann, wenn die Sicherheit und Ordnung in einem Maß gestört sind, dass der Bürger nicht bereit ist, das hinzunehmen, oder wenn sich strafrechtlich relevante Dinge ereignen, dann muss man Flagge zeigen. Da nehmen wir unsere Zuständigkeiten wahr, und wenn es notwendig ist, dann lösen wir Versammlungen auf."
Wiens Polizeichef: "Auflösung primär rechtliches Instrument"
Pürstl wies in dem Zusammenhang darauf hin, dass zum Auflösen einer Versammlung ein weit verbreiteter Irrglaube in der Bevölkerung und auch bei manchen Medienvertretern bestehe, wonach "die Polizei hineingeht und alle auseinandertreibt". Dem sei nicht so: "Die Auflösung ist primär ein rechtliches Instrument, die Teilnehmer einer Versammlung darauf hinzuweisen, dass sich jede und jeder, der sich nach der verkündeten Auflösung weiter dort aufhält, sich verwaltungsstrafrechtlich schuldig macht." Die Behörde könne das auch mit Zwang durchsetzen.
Lösen könne man dies in Wahrheit nur mit dem sogenannten Polizeikessel, bei dem jene Versammlungsteilnehmer, die nicht selbst die Demonstration verlassen, umringt und Ausgangsschleusen einrichtet, umriss Pürstl die Vorgangsweise der Polizei in solchen Fällen. Dabei werde den Menschen ermöglicht, freiwillig und einzeln hinauszugehen, nur so könne man die Versammlung tatsächlich zerstreuen. Nach einer gewissen Zeit werden die Verbleibenden zur Ausweisleistung aufgefordert.
Pürstl brachte das Beispiel einer Pro-Palästina-Demos am Stephansplatz bald nach Beginn des Konflikts im Nahen Osten, bei der sich illegale Dinge ereignet hätten und die zugleich mit dem Gedenken der Israelitischen Kultusgemeinde (IKG) gemeinsam mit der Bundesregierung stattfand. Dabei hatte die Polizei den Vorwurf geerntet, dass sie die "Leute, die am Stephansplatz zusammengekommen sind, nicht gleich mit Zwangsgewalt auseinandergetrieben haben".
Pürstl trat dem so entgegen: "Erstens ist das kein gutes Mittel, die Versammlung tatsächlich aufzulösen, sprich, dass die Gemeinschaft nicht mehr da ist, wenn man sie von A nach B vertreibt. Zweitens wäre es nicht sehr intelligent, das in einer Situation zu machen, wo ein paar hundert Meter weiter eine große Gegenveranstaltung mit sehr vielen Teilnehmern und hochsensiblen Inhalten stattfindet. Und drittens erreichen wir diese Dinge - also die Versammlung aufzulösen - nur, dass man die Leute in einen geordneten Rahmen bringt und mehrere Exits schafft, wo die Leute kontrolliert hinausgehen können, eventuell gegen Ausweisleistung. Und die, die dann immer noch verbleiben - und das sind oft sehr wenige -, da kann es dann durchaus zu Festnahmen kommen. Dass man das von Anfang an macht und 600, 700 Menschen festnimmt, ist ja nicht realistisch." Der Wiener Weg habe sich jedenfalls bewährt.
Wiener Polizei mit zahlreichen Einsätzen im Zusammenhang mit Aktionen von Klimaaktivisten
Im vergangenen Jahr gab es 160 Einsätze der Wiener Polizei im Zusammenhang mit Aktionen von Klimaaktivistinnen und -aktivisten. Davon betrafen dem Polizeipräsident zufolge etwa 100 Klebeaktionen, und davon waren 80 Fälle, "wo die Polizei dann tatsächlich loslösen musste". Das sei natürlich eine "Riesenherausforderung vor allem für eine Großstadt", sagte Pürstl. "Dass das Unmut erregt, wenn man im Stau steht und draufkommt, dass man nicht deshalb steht, weil es einen Unfall gegeben hat oder schlichtweg es eine Verkehrsüberlastung gibt, sondern weil da Menschen protestieren mit genau dem Ziel, den Verkehr zu behindern, daran besteht kein Zweifel. Wir als Polizei müssen da den Ball flach halten, andererseits zeigen, dass wir etwas unternehmen." Der Polizeipräsident ergänzte: "Wir haben die meisten dieser Aktionen binnen einer Stunde, oft sogar binnen 20 Minuten aufgelöst."
Pürstl meinte, es sei schwer, eine Prognose abzugeben, wie es 2024 mit Aktionen der Klimaaktivistinnen und -aktivisten weitergehe, "nämlich mit der Art und Weise, wie diese Klimaaktionen fortgesetzt werden". Er wies darauf hin, dass sich Demonstrierende zuletzt auf der Südautobahn beim Knoten Mödling mit den sogenannten Mumienhänden festgeklebt hätten. "Da musste man dann aufstemmen rundherum, das ist eine schwere Sachbeschädigung wie es im Bilderbuch steht, da kommen wir dann schon ins Strafrechtliche hinein. Da hat dann niemand mehr Verständnis dafür, wenn die Infrastruktur beschädigt wird."
Etwa 630 Festnahmen und rund 1.400 Anzeigen gab es im Zusammenhang mit Klimaaktionen in Wien, sagte Pürstl. "Im übrigen hat das natürlich auch etwas gekostet. Da sind wir schon bei etwa 1,6 Millionen Euro, die wir in den Personalaufwand investiert haben und die wir anderwertig besser hätten nutzen können. Wer da einschreitet und dafür da ist, kann für andere Tätigkeiten nicht verwendet werden." Die Zahl der Anzeigen wegen Aktionen wutentbrannter Autofahrerinnen und Autofahrer bewege sich im Bereich einer Handvoll, unter zehn.
Was geschieht bei Regierung mit FPÖ?
Für den Fall einer FPÖ-Regierungsbeteiligung nach der nächsten - die voraussichtlich oder spätestens heuer im Herbst über die Bühne geht - sei es "nicht nur nicht auszuschließen, sondern auch wahrscheinlich, dass es zu Versammlungen von Menschen kommt, die eine vollkommen andere politische Richtung vertreten", meinte der Polizeipräsident. "Da wird es wieder an der Polizei liegen, dass wir dämpfend wirken, Versammlungen zulassen, so weit es möglich ist, und konsequent dort einschreiten, wo es sein muss."
(Das Gespräch führte Gunther Lichtenhofer/APA.)