In Wien wird jeden Tag eine zweistellige Anzahl an Betretungsverboten ausgesprochen.
Allein heuer waren es seit Jahresbeginn bis 24. Mai 1.596 Fälle - 1.379 gleich am Tatort und weitere 217 Verbote im Nachhinein. Seit Juli 2021 werden dabei die ersteinschreitenden Beamtinnen und Beamten vom sogenannten GiP-Support der Polizei unterstützt, der ihnen bei der Entscheidungsfindung helfen soll, als Korrektiv da ist und für eine erste Gefährdungseinschätzung sorgen soll.
In Wien pro Tag eine zweistellige Zahl an Betretungsverboten
Leiter des Projekts GiP-Support - GiP steht für Gewalt in der Privatsphäre - bei der Landespolizeidirektion Wien ist Chefinspektor Wolfgang Schlegl-Tiefenbacher, der am Mittwoch vor Journalistinnen und Journalisten die Arbeit des Supports näher erläuterte. "In 24 Stunden werden in Wien nach meinen Schätzungen etwa zehn bis 24 Betretungsverbote ausgesprochen", sagte er. Da der GiP-Support von den Ersteinschreitern bei allen Fällen von Gewalt in der Privatsphäre kontaktiert werden muss, wird diese Schätzung von den Zahlen belegt: "Seit es den GiP-Support gibt, wurde er rund 4.500 Mal kontaktiert", berichtete Schlegl-Tiefenbacher - also in nicht einmal einem Jahr.
Schreckliche Bluttat in Wien-Favoriten war Projekt-Auslöser
Auslöser für das Projekt war eine besonders
schreckliche Bluttat im Februar des Vorjahres in Favoriten. Die Polizei
war zunächst zu einem Gewaltübergriff in einer Wohnung in der Triester
Straße gekommen, wo ihnen eine leicht verletzte Frau öffnete und angab,
von ihrem Freund geschlagen worden zu sein. Der Täter befand sich zu
diesem Zeitpunkt nicht am Ort des Geschehens. Während die Berufsrettung
die Frau in ein Krankenhaus brachte, machten sich die Beamten auf die
Suche nach dem Gefährder, fanden ihn aber nicht. Die Frau wurde aus dem
Spital wieder entlassen und kehrte nach Hause zurück. Der Täter war aber
ebenfalls zurückgekehrt und tötete die 28-Jährige.
Für den
GiP-Support gibt es derzeit einen Pool von 120 Beamtinnen und Beamten,
von denen zwei, in der Spitzenzeit zwischen 16.00 und 2.00 Uhr drei,
jeweils für ganz Wien
für 24 Stunden im Einsatz sind. Erfährt die Polizei von einem Fall von
Gewalt in der Privatsphäre, schreitet sie ein. Die Ersteinschreitenden
fahren zum Tatort und treffen erste Entscheidungen - was bis zur
Aussprache eines Betretungsverbotes
reichen kann. Gleichzeitig müssen sie den GiP-Support informieren, der
anhand dieser Meldungen gleich die Gefährdungslage für das Opfer
einzuschätzen versucht.
Fragebogen soll bei Einschätzung der Gefährdung durch Täter helfen
Dafür gibt es einen standardisierten
wissenschaftlich anerkannten Fragebogen, das sogenannte Odara-Tool, das
schon vor einiger Zeit in Kanada entwickelt wurde. Anhand von 13 Fragen,
welche die Vorgeschichte des Täters und der Beziehung insgesamt, die
Lebensumstände - etwa ob es Kinder gibt, sowohl gemeinsame als auch aus
früheren Beziehungen, oder auch wo und wie das Opfer wohnt -, Vorstrafen
bzw. frühere Gewaltakte des Täters, etwaigen Substanzmissbrauch und
Ähnliches betreffen, erstellt der GiP-Support eine
Gefährdungseinschätzung für das Opfer. Dies kann niedrig, höher oder
High-Risk sein. Nach dieser Einschätzung richtet sich das Tempo und die
Intensität der weiterführenden Maßnahmen zum Opferschutz, die bis hin zu
temporärem Personenschutz, das Drängen auf die Aufnahme in ein
Frauenhaus oder gar eine Aufnahme in ein Opferschutzprogramm reichen
können. Allerdings sind hier die Beamten immer auf die
Kooperationsbereitschaft des jeweiligen Opfers angewiesen.
Die meisten Opfer von häuslicher Gewalt sind weiblich
Zwei
Hinweise: In den weitaus meisten Fällen von Gewalt in der Privatsphäre
sind Frauen die Opfer, Männer die Täter. Es gibt aber einige wenige
Fälle mit umgekehrter Konstellation. Und für die Verhängung eines Betretungsverbotes ist nicht zwingend eine Strafanzeige notwendig, dieses kann auch vorbeugend ausgesprochen
werden. Schlegl-Tiefenbacher schätzte, dass gut zehn Prozent der
Verbote nicht mit der Erstattung einer Strafanzeige einhergehen.
Pro Monat etwa 40 High-Risk-Fälle in Wien
"Ich würde schätzen, dass es pro Monat in Wien
etwa 40 High-Risk-Fälle gibt", sagte der Chefinspektor. Die
Einschätzung des GiP-Supports ist übrigens nicht die letztgültige, diese
geht auch zum sogenannten Bedrohungsmanagement, das die Einschätzung
des Support-Teams mit eigenen Informationen abgleicht und gegebenenfalls
nachschärft. Ebenso wird der juristische Journaldienst der Polizei in
Kenntnis gesetzt, der gegebenenfalls rechtliche Maßnahmen entscheiden
kann.
Opferschutzeinrichtungen wesentlich früher "hereinholen"
In dem knappen Jahr der Tätigkeit des GiP-Supports hat der
Projektleiter auch einige Bereiche zum Nachschärfen gefunden: "Ich würde
die Kooperation mit den Opferschutzeinrichtungen wesentlich früher
hereinholen, und nicht nur bei High-Risk-Fällen", schlug
Schlegl-Tiefenbacher vor. Die Sensibilisierung von Führungskräften bei
der Polizei selbst für die Wichtigkeit der Prävention ist dem
Chefinspektor ein Anliegen.