Laut Bundeskanzleramt erfolgt die Teilnahme in Vorbereitung des EU-Ratsvorsitzes, den Österreich ab Anfang Juli innehaben wird. Wichtigstes Thema seien die Prioritäten des österreichischen Ratsvorsitzes, vor allem der Kampf gegen illegale Migration, hieß es im Vorfeld der Reise aus dem Bundeskanzleramt: “Im Fokus stehen dabei Bemühungen zum Schutz der Außengrenzen, insbesondere eine Stärkung von Frontex und Maßnahmen gegen illegale Migration entlang der Albanien-Route.” Laut der ÖVP-FPÖ-Bundesregierung ist jüngst wieder eine verstärkte Migrationsbewegung entlang der Albanien-Route zu verzeichnen. Daher sollen auch österreichische Polizisten zur Unterstützung der albanischen Behörden entsandt werden.
Innenminister Herbert Kickl (FPÖ) drohte unlängst in diesem Zusammenhang, “im Fall der Fälle” alle Grenzen Österreichs dicht zu machen. Die Internationale Organisation für Migration (IOM) hält die Sorge vor einer neuen Balkanroute oder einer Wiederholung des Flüchtlingsansturms von 2015/2016 dagegen für übertrieben. Zwar gebe es vermehrt Ankünfte in Bosnien-Herzegowina, aber der Großteil von diesen Personen sei schon seit langem auf der Flucht, erklärte die IOM.
Auch albanische Regierungspolitiker wie Ministerpräsident Edi Rama stellten massive Flüchtlingsbewegungen in Abrede. Der ehemalige Sonderkoordinator des Stabilitätspakts für Südosteuropa und Ex-ÖVP-Vizekanzler Erhard Busek sprach vor rund zwei Wochen in seiner Funktion als Vorsitzender des Instituts für den Donauraum und Mitteleuropa (IDM) von “Angstmacherei”.
Verstärkte Zusammenarbeit mit Visegrad-Staaten
Das Bundeskanzleramt wiederum betonte vor dem Treffen, dass im Bereich Migration eine verstärkte Zusammenarbeit mit den Visegrad-Staaten Ungarn, Tschechien, Slowakei und Polen von großer Bedeutung sei, um die EU-Außengrenzen ordentlich zu schützen. Kurz hatte zum Kampf gegen illegale Migration nach Europa in der vergangenen Woche eine “Achse der Willigen” vorgeschlagen, für die er im deutschen Innenminister Horst Seehofer von der bayerischen CSU “einen wichtigen Partner” sieht. Außerdem kommen die neue Regierung in Rom, aber auch die Niederlande, Dänemark und die Visegrad-Staaten als Kooperationspartner in Frage.
Die Visegrad-Länder verfolgen seit dem Höhepunkt der Migrationskrise im Jahr 2015 einen sehr restriktiven Flüchtlingskurs. So lehnten sie die EU-interne Verteilung nach Quoten ab. Orban riegelte die ungarischen Grenzen bereits damals mit einem Zaun ab. Der Chef der nationalkonservativen Regierungspartei Fidesz propagiert auch ein Modell der “illiberalen Demokratie”, das er in Ungarn gerade umsetzen will. Er liegt mit der EU wegen seiner restriktiven Asylpolitik, der Einschränkung demokratischer Rechte und des mutmaßlichen Missbrauchs von EU-Geldern im Streit.
Am heutigen Mittwoch sollte das Parlament in Budapest über ein Gesetz abstimmen, das Flüchtlingshelfer von Nichtregierungsorganisationen mit Gefängnisstrafen bedroht. Es wird unter Anspielung auf den ungarischstämmigen US-Milliardär George Soros auch als “Stop-Soros-Gesetz” bezeichnet. Das ungarische Helsinki-Komitee warnte zuletzt angesichts einer von der Regierung im derzeitigen Visegrad-Vorsitzland Ungarn verschärften Kampagne gegen Flüchtlingshelfer von einer “Ära der Angst, wie es sie seit dem Ende der kommunistischen Diktatur nicht mehr gab”. Die Medien- und Meinungsfreiheit werde beschnitten und gegen NGOs zunehmend repressiver vorgegangen.
Kurz würde “Achse der Prinzipienlosen” betreten
Angesichts dessen werfen Kritiker – etwa aus der Opposition – Kurz eine unkritische Nähe zum als EU-skeptisch bis -feindlich geltenden Orban vor. So sprach der scheidende NEOS-Chef Matthias Strolz in einem Gastbeitrag für “Zeit Online” von einer neuen “Achse der Prinzipienlosen”. Eine Gruppe nationalkonservativer Populisten um Kurz und Orban versuche “professionell und kaltschnäuzig, eloquent und hemmungslos” Europa umzubauen. “Sie haben keine Vision für Europa, aber sie haben Lust auf Macht”, so Strolz in der Online-Ausgabe der deutschen Wochenzeitung “Die Zeit” und warnte: “Unter der Führung nationalkonservativer Populisten würde die Europäische Union in die weltpolitische Bedeutungslosigkeit taumeln. Und die Machtblöcke im Westen und Osten schauen amüsiert zu. Sie wittern fette Beute.”
Der 31-jährige ÖVP-Chef wiederum ist der Meinung, “Schubladisierungen” würden die EU spalten und zerstören, wie er etwa in der Vorwoche dem “Standard” (Samstag-Ausgabe) sagte. Man solle nicht auf jene “herabschauen”, die eine andere Meinung vertreten. “Wenn man in Osteuropa den Eindruck hat, ein EU-Mitglied zweiter Klasse zu sein, dann ist das alles andere als positiv”, so Kurz. Eine Trennung in konstruktive und dekonstruktive Kräfte innerhalb der EU lehnt der Kanzler ab.
Zwar dürfe es keine Kompromisse bei Demokratie und Rechtsstaatlichkeit geben, erklärte Kurz dem “Standard”, ansonsten sei er aber für das Geltenlassen unterschiedlicher Standpunkte. Das “ständige Erziehen” aller müsse aufhören. Daher hält der Bundeskanzler auch einen Dialog mit Budapest für wichtig. Ein Treffen mit Griechenlands linkspopulistischem Premier Alexis Tsipras scheint allerdings in näherer Zukunft nicht geplant zu sein.
Migrationskrise im Fokus
Dafür kommt am Freitag Ratspräsident Donald Tusk zu einer Begegnung mit Kurz nach Wien, um laut Bundeskanzleramt die Migrationskrise und den Schutz der Außengrenzen zu besprechen. Demnach steht auch ein mögliches Treffen mit Deutschlands Bundeskanzlerin Angela Merkel und Regierungschefs anderer betroffener Staaten im Vorfeld des EU-Gipfels Ende der kommenden Woche (28./29.6.) im Raum. Der Kampf gegen illegale Migration wird auch Thema eines bilateralen Treffens mit Frankreichs Präsident Emmanuel Macron am Rande des Europäischen Rates in Brüssel sein, hieß es aus dem Kurz-Büro.
Von dort verlautete außerdem: “Weitere Themen des Gesprächs mit den Visegrad-Regierungschefs sind die Verbesserung der Beziehungen EU-Israel, die Unterstützung der Westbalkanstaaten bei der Annäherung an die EU, die Indexierung der Familienbeihilfe sowie die Bekräftigung der ablehnenden Haltung Österreichs zur Nutzung von Atomenergie.”
Österreich als Brückenbauer
Wenn Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) am Donnerstag am Treffen der vier Visegrad-Staaten teilnimmt, so hat er es mit einem Staatenbündnis zu tun, das nicht in allen außen- und europapolitischen Fragen an einem Strang. In der Flüchtlingspolitik treten sie aber meist gemeinsam auf. Hier haben sie in Österreich einen Verbündeten gefunden.Wien/Bratislava. Die Visegrad Vier, auch V4 genannt, sind nicht unumstritten. In Brüsseler Diplomatenkreisen gilt dieses lose Kooperationsforum aus Ungarn, Polen, Tschechien und der Slowakei als “Schmuddeleck”. Der Luxemburger Außenminister Jean Asselborn sprach von einem “Verein der Abtrünnigen”. Visegrad sei “ein Symbol, gegen alles zu sein”, sagte der tschechische Politologe Jiri Pehe.
Die Visegrad-Gruppe wurde nach dem Fall des Eisernen Vorhangs am 15. Februar 1991 gegründet: von dem polnischen Präsidenten Lech Walesa, dem ungarischen Ministerpräsidenten Jozsef Antall und Vaclav Havel als Staatsoberhaupt der Tschechoslowakei, die 1993 in zwei Staaten zerfiel. Benannt ist die Gruppe nach dem ungarischen Gründungsort Visegrad in der Nähe von Budapest an einem Donau-Knie. Die Idee für das Treffen ging auf eine ähnliche Zusammenkunft im Jahr 1335 zurück. Das Hauptmotiv für beide Treffen war der Wunsch, die gegenseitige Kooperation und die Freundschaft zwischen den mittelosteuropäischen Ländern zu vertiefen. Hauptziel bei der Gründung 1991 war der EU-Beitritt der Länder. Die vier traten zusammen am 1. Mai 2004 der EU bei.
Die V4 haben einiges gemeinsam: Die Erfahrung mit der kommunistischen Diktatur, alle sind EU-Nettoempfänger, NATO-Mitglieder und setzen auf Atomenergie. Auf Österreich trifft keines dieser Kriterien zu. EU-Nettozahler Österreich hat ein viel höheres Lohnniveau und ist ein Zielland von Arbeitskräften aus den östlichen EU-Ländern. Die von der schwarz-blauen Regierung beschlossene Indexierung der Familienbeihilfe stieß gerade den Visegrad-Ländern besonders auf: Pflegerinnen und Krankenschwestern aus Ungarn, der Slowakei und Polen sind von den Kürzungen besonders betroffen.
Gleiche Meinung bei Flüchtlingspolitik zwischen Kurz und Babis
Ein gemeinsamer Nenner findet sich aber in der Flüchtlingspolitik. “Wir sind sehr froh, dass wir im gleichen Boot sind und die gleiche Meinung haben”, sagte der geschäftsführende tschechische Premier Andrej Babis bei einem Besuch bei Kurz. Die Visegrad-Länder führen seit Jahren das Wort gegen die verpflichtenden Verteilungsquoten. Kurz vertritt ebenfalls die Meinung. Es ein Irrweg, Staaten zur Aufnahme von Flüchtlingen zu zwingen, meinte er. Die Visegrad-Staaten unterstützen auch eine gemeinsame EU-Sicherheits- und Verteidigungspolitik. Der Fokus der Regierung auf mehr Subsidiarität als Antwort auf “zentralistische Tendenzen in der Europäischen Union” findet bei den V4 ebenfalls Anklang.
Wegen der Gemeinsamkeiten wurden in der Visegrad-Gruppe Stimmen für einen Beitritt Österreichs laut. FPÖ-Chef Heinz Christian Strache hatte sich im Wahlkampf 2017 für eine Mitgliedschaft in der Gruppe ausgesprochen. Der tschechische Präsident Milos Zeman sieht in Kurz einen möglichen willkommenen Partner. Internationale Zeitungen, aber auch heimische Kritiker warnten bereits vor einer “Orbanisierung” der Politik Österreichs. Kennzeichen dieser sei die “angstgetriebene abgeschottete Renationalisierung und Enteuropäisierung”, wie etwa der Theologe Paul Zulehner den Begriff definierte.
Doch es gibt in der Region auch historisch bedingtes Misstrauen gegen Österreich, das noch aus der Zeit der Donaumonarchie stammt. Die Visegrad-Länder wollen “unter sich bleiben”, sagte die von der FPÖ in die Regierung gehievte Außenministerin Karin Kneissl. Auch Kurz schließt einen Visegrad-Beitritt Österreichs aus. “Wir sehen uns als Brückenkopf”, so Kurz. Er strebe gute Beziehungen zu Deutschland und Frankreich, aber auch zum Osten Europas an. “All jene, die die Welt in gute und schlechte Europäer einteilen, sind Garant dafür, dass die Europäische Union auseinanderfällt”, warnte Kurz kürzlich im “Standard”. “Wenn man in Osteuropa den Eindruck hat, ein EU-Mitglied zweiter Klasse zu sein, dann ist das alles andere als positiv.”
Visegrad Vier uneinig
Die Visegrad Vier untereinander sind sich allerdings auch nicht immer einig. Im Streit zwischen Polen und der EU über die Unabhängigkeit der Justiz etwa stellte sich bisher nur Budapest auf die Seite Warschaus. Orban kündigte ein Veto im Rechtsstaatsverfahren, das bis zum Entzug von Stimmrechten führen kann, an. Ungarn könnte selbst schon bald ebenfalls mit einem sogenannten Artikel-7-Verfahren konfrontiert sein. Es gibt Bedenken wegen der Pressefreiheit, Unabhängigkeit der Justiz und Gesetzgebung zu Nichtregierungsorganisationen. Die Entscheidung soll am 25. Juni fallen.
Ungarn pflegt außerdem enge wirtschaftliche und politische Kontakte zu Russland. Anders als etwa Polen. Mit der Begründung einer Bedrohung durch Russland bat Warschau den USA sogar zwei Milliarden US-Dollar (1,71 Mrd. Euro) für die Errichtung einer ständigen US-Militärbasis in Polen an.
Die Slowakei wiederum ist der einzige Visegrad-Staat, in dem mit dem Euro bezahlt wird. Der slowakische Ex-Ministerpräsident Robert Fico sah sein Land “als proeuropäische Insel”. Vor allem aufgrund von historisch bedingten Animositäten gegenüber Ungarn, in das die Slowakei bis zum Vertrag von Trianon 1920 integriert war, ging Bratislava auf Distanz etwas zu seinen Partnern, wie Diplomaten betonen. Rechtsextreme Forderungen nach einer Revision der Grenzen und einem neuen Großungarn gießen da immer wieder Öl ins Feuer.
Es kommt der Verdacht auf, dass nur der Widerstand gegen muslimische Migranten und die Flüchtlingsquoten die Visegrad-Gruppe verlässlich zusammenschweißt, meinte die konservative tschechische Zeitung “Lidove noviny”: “Sobald es um andere Themen geht, bröckelt die Entschlossenheit.”
APA/red