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Ärger um von Regierung veranlasste Fahndung gegen Krankenstandsmissbrauch

1-01-1970, 00:00

Konkret geht es um das “Risiko- und Auffälligkeitsanalyse-Tool” der Krankenkassen, mit dem bisher gegen den Verdacht von Schwarzarbeit oder Scheinanmeldungen aufseiten von Firmen vorgegangen wurde. Nun werden die Kassen per Gesetz angewiesen, auch in den Daten der Versicherten Nachschau zu halten. Zu prüfen ist der “Verdacht auf missbräuchliche Inanspruchnahme von Leistungen, insbesondere aus dem Versicherungsfall der Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit”, heißt es in der vorgeschlagenen neuen Passage von Paragraf 42b, Absatz 1 des ASVG.

Koalition gibt Fahndung gegen Krankenstandsmissbrauch in Auftrag

Aber auch dem “missbräuchlichen Bezug von Heilmitteln, Hilfsmitteln und Heilbehelfen” soll nachgespürt werden. Weiterer zu untersuchender Punkt: “Verdacht auf missbräuchliche Verwendung der e-Card”.

Angekündigt waren diese Maßnahmen bereits im , zu finden auf den Seiten 116 und 145. Allerdings hat Gesundheits- und Sozialministerin Beate Hartinger-Klein (FPÖ) erst vor kurzem die Abkehr von einem Kontrollinstrument in diesem Bereich angekündigt: Die seit 2016 erlaubte Tätigkeit verdeckter Ermittler der Sozialversicherung, das von der Ärztekammer bekämpfte “Mystery Shopping”, wird wieder abgeschafft, kündigte sie im Mai an.

Einige Krankenkassen kontrollieren schon elektronisch

Die elektronisch-basierte Prüfung von Krankenständen, wie sie die Regierung nun gesetzlich plant, gibt es schon in einigen Krankenkassen. Wie ein Rundruf der APA zeigt, setzen beispielsweise die Salzburger und die Steirische Gebietskrankenkasse auf entsprechende Tools. In anderen Länderkassen steht man dem Einsatz zumindest positiv gegenüber.

Im Bundesland Salzburg führt die Gebietskrankenkasse die Kontrollen der Krankenstände jetzt schon zum Großteil EDV-gestützt durch, sagte Sprecherin Karin Hofer. Schreibe etwa ein Arzt einen Patienten wegen eines grippalen Infekts für drei Wochen krank, schlage das System automatisch Alarm. “Da laufen sehr komplexe Algorithmen.” Diese Fälle werden überprüft: “Pro Tag gehen bei uns 100 bis 150 schriftliche Aufforderungen zur Kontrolle beim Chefarzt hinaus.” Darüber hinaus gebe es in bestimmten Fällen die sogenannte aufsuchende Kontrolle, also beim Patienten zu Hause. Zudem werde Hinweisen, die bei der Krankenkasse eingehen, in begründeten Fällen nachgegangen.

WGKK prüft bei überlangem Krankenstand

Die Wiener Gebietskrankenkasse (WGKK) bekommt gemeinsam mit der Krankmeldung auch die Diagnose des betreffenden Patienten, wie die WGKK der APA erläuterte. Dieser Diagnose ist eine durchschnittliche Krankenstandsdauer hinterlegt. Läuft diese ab, werden die Betroffenen um ein Gespräch gebeten, zu dem sie auch Unterlagen mitbringen sollen.

Je nach Ergebnis wird der Krankenstand entweder verlängert, man bittet um weitere Unterlagen oder beendet den Krankenstand. Wenn der Einladung zum Gespräch nicht Folge geleistet wird, erhält der Patient einen neuen Termin – oder er wird von einem Krankenfürsorger besucht. Häufen sich bei einer versicherten Person Krankenstands-Auffälligkeiten, erfolgt eine engmaschigere Kontrolle, wie betont wird. Wird schließlich ein Missbrauch festgestellt, dann werden Maßnahmen ergriffen, die bis zum Aberkennen des Krankenstandes bzw. der Rückforderung des ausbezahlten Krankengeldes reichen können.

Verärgerung über Schnüffel-Auftrag der Regierung

Bei Österreichs Krankenversicherungsträgern herrscht kaum verhohlener Ärger über den von der Bundesregierung geplanten Auftrag, den Versicherten bezüglich Krankenstands-, Heilmittel- und e-Card-Missbrauch per Analysestool elektronisch nachzuschnüffeln. Man wolle dies nicht und sei weder gefragt noch eingebunden worden, hieß es nach einer Sitzung der Trägerkonferenz.

Niemand im Hauptverband der Sozialversicherungsträger habe eine solche Gesetzesänderung bestellt, betonte Ingrid Reischl, Chefin der Wiener Gebietskrankenkasse (WGKK) und Vorsitzende der Trägerkonferenz, am Dienstag vor Journalisten. “Ich sehe überhaupt keinen Grund, warum wir jetzt kranke Menschen weiter verfolgen sollten”, sagte sie. Bereits jetzt existiere in allen Kassen ein Arbeitsunfähigkeitsmanagement, das problemlos und gut funktioniere.

Kritische Worte kommen auch von Hauptverbands-Chef Alexander Biach. Man habe Tools, die bereits jetzt gut funktionierten, unterstrich er, nicht nur was Krankenstände, sondern auch was etwa die Abrechnung der Ärzte betreffe: “Mir hätte es gefallen, wenn man einmal schaut, was da an Überprüfungsmöglichkeiten vorhanden ist.” Wer dies ins Gesetz geschrieben habe, wisse er nicht, so Biach, der selbst fest in der Regierungspartei ÖVP verankert ist. Mit ihm sei jedenfalls nicht gesprochen worden.

Einen möglichen Verantwortlichen sieht man in Krankenversicherungskreisen aber doch. Das gesamte Regierungsprogramm trage die Handschrift der Industrie, heißt es hinter vorgehaltener Hand.

Andreas Huss, Obmann der Salzburger Gebietskrankenkasse, machte aus seiner Ablehnung kein Hehl. “Ich will das auch nicht”, betonte er. Wie sich ein Versicherter illegal Zugang zu Heilmitteln verschaffen könne, sei ihm schleierhaft, denn es brauche ja einen Arzt, der ihm das Medikamente verschreibe und oft auch einen Chefarzt, der dies bewillige. Kritikwürdig sei für ihn auch, dass mit der geplanten ASVG-Änderung die Datenschutzgrundverordnung ausgehebelt werden solle.

Huss’ Interpretation: Versicherte würden ,mit dem geplanten Gesetz unter Generalverdacht des Heilmittelmissbrauchs gestellt. Es würden Daten gesammelt, Verdachtsfälle per Algorithmen konstruiert und die Versicherten flächendeckend gescreent. Andererseits schaffe man seitens des Gesundheitsministeriums aber gerade das Mystery Shopping bei Ärzten ab, so der SGKK-Chef.

(APA/Red)

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