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40 Tage

12-03-2018, 06:00

Vor vier Jahren bin ich umgezogen. Als ich eines Tages meinen Garten abschritt, stand der neue Nachbar vor mir. Er wollte mich auf ein Bier einladen. Ich lehnte dankend ab. Denn damals hatte ich mich zum ersten Mal während der Fastenzeit alkoholmäßig trockengelegt. Es wurde kein langes Gespräch, der junge Mann am Gartenzaun zog schnell wieder ab.

Später erklärte mir mein Nachbar, der mir mittlerweile ein guter Freund geworden ist, dass er mich dem ersten Eindruck nach seltsam fand. Ich glaube mich erinnern zu können, dass in diesem Zusammenhang das Wort Vollschrulli fiel. Es kann einem also schnell passieren, dass man zum Eigenbrötler abgestempelt wird, wenn man aus bestimmten Gründen zum Gänsewein greift und nicht zum Wieselburger.

Derzeit faste ich wieder. 40 Tage lang kein Alkohol und auch nichts Süßes. Die Enttäuschung war bei einigen groß. Der Mann, der mich einst komisch fand, feiert ausgerechnet am Aschermittwoch sein Wiegenfest. "Das heißt also, dass du zu meinem Geburtstag nichts trinkst", schrieb er mir traurig. Mir kommt vor, dass überhaupt viele Feierlichkeiten ausgerechnet in diese sechs Wochen reinfallen.

Um mich zu locken bzw. ein Stück näher zur Selbstaufgabe zu bringen, wird mir allerlei eingeredet. Ein Kollege behauptet, man habe während der Fastenzeit drei "Joker" zur Verfügung. Drei Mal dürfe man völlern, ohne gleich vom Blitz getroffen zu werden. Und überhaupt: An Sonntagen sei das eine oder andere leckere Bierchen freilich erlaubt, wird mir erzählt.

Herr Jürgen M. will mir sogar weismachen, dass die Sonntage aus theologischer Sicht schon mit der Vorabendmesse am Samstag beginnen würden. Leute, da brauche ich ja gar nicht mehr fasten und kann gleich mein altes Leben wieder leben. Dass Österreich mit einem jährlichen Pro-Kopf-Verbrauch von 206 Krügerl Vize-Weltmeister ist, wundert mich nicht.

Letzter Zwischenstand: Zwei Joker habe ich schon verbraucht – aber nur für Schoki.

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