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Dunkle Geschichte der Wiener Öffis: Zwangsarbeit bei Verkehrsbetrieben

1-01-1970, 00:00

“Menschenmaterial: Unbefriedigend” – ein Zitat des vom NS-Regime eingesetzten Direktors der Verkehrsbetriebe über ihm nicht genehme Arbeitskräfte – heißt die gut 90 Seiten umfassende und mit Fotos, Faksimiles von Dokumenten und Datentabellen angereicherte Publikation. Ihr Autor Walter Farthofer ist kein ausgewiesener Historiker, war allerdings 45 Jahre bei den Wiener Linien tätig und hat bereits eine umfassende Unternehmens-Chronik und den 550-Seiten-Wälzer “Wiener Tramway Geschichte(n)” mit Hauptfokus auf den Widerstand der Straßenbahner ab 1934 vorgelegt.

Bei den Recherchen ist Farthofer auf jene 1.351 kleinen, teils unvollständig ausgefüllten Karteikarten im Wiener-Linien-Archiv gestoßen, die von den ausländischen (Zwangs-)Arbeitern zeugen. Auf deren Basis hat sich der Hobby-Historiker weitergehantelt. “Ich wollte die Chronik gewissermaßen vervollständigen”, sagt er im APA-Interview.

Ausländische Zwangsarbeiter bei den Wiener Öffi-Betrieben

Wie kam es nun überhaupt dazu, dass ausländische Zwangsarbeiter für die Aufrechterhaltung des Öffi-Betriebs eingesetzt wurden? “Die damaligen Verkehrsbetriebe haben zu 98 Prozent Männer beschäftigt. Im Zweiten Weltkrieg wurden die Männer zum Militärdienst eingezogen. Die Frauen, die man noch rekrutieren konnte, waren zu wenig bzw. waren die im Fahrdienst eingesetzt. Es gab aber auch Arbeiten, für die Frauen nur schwer geeignet waren”, so Farthofer.

Das betraf vor allem den “Oberbau” – also das Verlegen und Instandhalten der Gleise: “Damals gab es ja quasi keine Bagger oder Hebewerkzeuge. Pflastersteine, Schienen – alles musste händisch transportiert und gehoben werden. Hier hat man dann auf ausländische Arbeiter zurückgegriffen.”

Zwangsarbeiter arbeiteten für Bim-Betrieb in Wien

Einziges Öffi-Verkehrsmittel war damals die Straßenbahn. Der Busbetrieb war wegen Treibstoffmangels schon zuvor eingestellt worden, der Bau der ersten U-Bahn-Röhren lag noch Jahrzehnte in der Zukunft. Wichtig war die Bim insofern, als sie mangels anderer verfügbarer Transportmittel auch Lebensmittel und andere Güter vom Stadtrand bzw. von den Betrieben in und durch die Stadt beförderte. Deshalb wurden zu Fabriken oder zum Postamt “Schleppbahnen” gelegt, um direkte Anbindungen zu haben.

Die ersten Zwangsarbeiter, die eingesetzt wurden, kamen aus Polen. Allein in den ersten drei Juliwochen 1941 waren es 141. Danach folgten Männer aus Russland und der Ukraine. Die Ostarbeiter mussten auch in der Hauptwerkstätte und in den Remisen, wo kleinere Arbeiten an den Wagen durchgeführt wurden, arbeiten. Durchaus überraschend ist allerdings, dass über die Jahre hin die meisten Beschäftigten aus den Niederlanden kamen. Sie wurden, nicht zuletzt wegen der geringeren Sprachbarriere, ab 1944 auch im Fahrdienst eingesetzt – hauptsächlich als Schaffner bzw. Schaffnerinnen.

Geschichte der Öffi-Zwangsarbeiter schlecht beleuchtet

Wobei Farthofer betont, dass der Begriff “Zwangsarbeiter” in diesem Fall etwas unscharf ist. Denn um Kriegsgefangene oder KZ-Häftlinge habe es sich bei diesem Personal nicht gehandelt. Teilweise meldeten sie sich sogar freiwillig in Rekrutierungsbüros in ihrem jeweiligen Heimatland, wo ihnen freilich Arbeit unter rosigeren Bedingungen versprochen wurde. Aber viele der ausländischen Mitarbeiter wurden auch zwangsrekrutiert bzw. -verpflichtet, ins Deutsche Reich verfrachtet und von den Arbeitsämtern nach Bedarf und Priorität Unternehmen zugewiesen. So waren in ganz Wien Anfang 1943 insgesamt ganze 65.000 Menschen – das entspricht der heutigen Bevölkerung von Mariahilf und Neubau – derart beschäftigt, bei den Verkehrsbetrieben mit etwa 430 in diesem Jahr freilich nur ein Bruchteil davon.

Zumindest am Papier waren Zwangsarbeiter im Werkalltag nicht schlechter gestellt – auch was den Lohn betrifft. Allerdings: Die Unterkünfte waren tendenziell miserabel beschaffen. Die ausländischen Arbeiter waren größtenteils in Massenquartieren untergebracht – etwa im “Freihaus” an der Wiedner Hauptstraße oder im jetzt noch bestehenden und von Sportvereinen genutzten Betriebsgebäude Michelbeuern. “Das waren Schlafsäle, es gab kaum sanitäre Anlagen, die Räume mussten immer wieder von Ungeziefer befreit werden”, berichtet der Autor.

Autor war selbst bei Wiener Linien tätig

Insofern nicht verwunderlich, dass es unter dem ausländischen Personal auch Widerstand und Sabotage gab – von “Arbeitsbummelei” bis zu mutwilligen Beschädigungen von Maschinen. Die Bestrafung reichte von Versetzungen über Haftstrafen bis zu Einweisungen in Straflagern.

Innerhalb von vier Jahren verließen etwa 800 Zwangsarbeiter die Verkehrsbetriebe – etwa 60 Prozent aller auf diese Weise Beschäftigten. Der Hauptgrund waren allerdings nicht Versetzungen in als wichtiger eingestufte Tätigkeitsbereiche, Krankheiten oder Verhaftungen, sondern Flucht. Viele kehrten einfach nicht aus dem Urlaub zurück.

Farthofer selbst, Jahrgang 1946, trat 1962 bei den Wiener Linien in den Dienst, war u.a. Ausbildner für kaufmännische Lehrlinge und die letzten 20 Jahre bis zu seiner Pensionierung 2007 Direktionssekretär. Ob die Zwangsarbeit jemals Thema im Betrieb gewesen sei? “Niemals. Das war immer Tabu.” Noch 1978 war die Zeit von 1934 bis 1945 in einer Geburtstagspublikation anlässlich des 75-jährigen Bestehens der Verkehrsbetriebe so gut wie ausgespart. “Da hat man sich mit vier Zeilen über diese Zeit hinweggerettet. Zum 100-Jahr-Jubiläum 2003 hat man es dann schon auf zehn Zeilen gebracht”, so Farthofer.

APA/Red.

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