
Nach dem Freispruch für ihren Vater Eduard L., der sie jahrelang psychisch gequält haben soll, gingen die steirischen Arzt-Kinder heute, Mittwoch, in Wien an die Öffentlichkeit. Der 19-jährige Josef L. schilderte, wie er dem Vater als Elfjähriger intravenöse Injektionen verabreichen musste: "Er war schon halb benommen, das Bett und der Boden waren voll Blut. Ich habe 15 bis 20 Mal versucht, die Vene zu treffen und hab’ ihn dann mit Morphium und Valium in die Bewusstlosigkeit gespritzt. Das Bild werde ich nie wieder los."
Seiner Mutter habe er nichts verraten dürfen, weil er laut Vater sonst daran schuld sei, dass sie sich scheiden lässt und die Familie zerbricht. "Es war die Hölle auf Erden", sagt der Bursche.
Seine 27-jährige Schwester Madlen erzählte unter Tränen, dass ihr der Vater als 15-Jährige schwere Medikamente gegen ihre Schlafstörungen verabreicht habe, von denen sie abhängig geworden sei: "Ich brauchte immer mehr." Er habe sie dann zu einem kalten Entzug daheim gezwungen und ebenfalls Druck gemacht, nichts der Mutter zu sagen, "sonst lässt sie sich scheiden und er bringt sich um" (Madlen). Sie sei dem Vater ständig "nachgelaufen" und habe "geschaut, dass er sich nichts antut."
Den Vorwurf des Grazer Richters, die Kinder hätten erst zwei Jahre nach Auszug des Vaters über die Vorkommnisse berichtet und es handle sich bloß um einen späten "Rosenkrieg", ließ der Psychiater Patrick Frottier nicht gelten. Als Leiter einer Kommission zur Aufarbeitung missbrauchter und misshandelter Kinder schätzt er diese zwei Jahre als kurze Zeit ein: "Traumatisierte Kinder brauchen lange, bis sie den Mut aufbringen, sich zu äußern." Außerdem würden Arztbriefe über Spitalsbehandlungen der Kinder bereits viel früher einen Zusammenhang zwischen Belastung durch den Vater und psychischen Störungen belegen. Die ersten Vorkommnisse ereigneten sich bereits zwölf Jahre vor der Scheidung der Eltern.
Dass sich ein Gerichtsgutachter vom Auftrag entbinden ließ, weil bei ihm interveniert wurde (der Bruder des Arztes ist Politiker), wertet Justiz-Insider Frottier als Warnruf des Kollegen: "Da hätten bei allen Beteiligten die Alarmglocken läuten müssen." Die Anwältin der Kinder, Andrea Peter, wehrt sich gegen die Begründung des Richters für den Freispruch, das angelastete Verhalten des angeklagten Arztes sei für eine Strafbarkeit nicht intensiv genug gewesen. Ein psychiatrisches Gutachten attestiert den Kindern massive psychische Störungen, es blieb im Prozess jedoch unberücksichtigt. Die Anwältin und der Ankläger haben Berufung beim Oberlandesgericht eingelegt.
