
Zwei Wochen nach dem möglichen Ehrenmord an der 14 Jahre alten Bakhti sitzt der 18 Jahre alte Bruder Hikmatullah S., der die Tat gestanden hat, noch immer ohne Verteidiger in der U-Haft. Ungewöhnlich für einen Fall von dieser Dimension. Normalerweise reißen sich Top-Anwälte um Täter wie Hikmatullah S..
Beim jungen Afghanen, der seine Schwester mit 27 Messerstichen niederstreckte, weil das Mädchen eine Abtrünnige war, scheint es anders zu laufen: In der Vorwoche schmiss Anwältin Astrid Wagner das Handtuch. Am vergangenen Wochenende übernahm Manfred Arbacher-Stöger die Verteidigung. Zwei Tage später der nächste Knalleffekt in der Familientragödie. Der nächste Jurist legt das Mandat zurück.
KURIER: Herr Arbacher-Stöger, warum wollten Sie diesen Fall übernehmen?Manfred Arbacher-Stöger: Ich mache jeden Mordprozess. Er muss aber bezahlt sein. Jeder Verteidiger, der etwas auf sich hält, macht nichts gratis. Der Bruder von Hikmatullah S., der etwa drei oder vier Jahre älter ist, hat mich am Wochenende kontaktiert. Ich hatte beim persönlichen Gespräch den Eindruck , dass der Bruder meinte, dass man sich um den Fall reißt und man einen guten Verteidiger auch kostengünstig bekommt.
Welchen Eindruck hatten Sie von ihm? Wirkte er angesichts der Familientragödie aufgewühlt?
Emotionale Anspannung konnte ich keine feststellen, der Bruder wirkte sehr gefasst. Er sprach zumindest so gut Deutsch, dass man sich mit ihm verständigen konnte. Ich hatte schon den Eindruck, dass dem Bruder wichtig war, dass sein Bruder Hikmatullah S. eine vernünftige Verteidigung bekommt.
Wann hatten Sie mit Hikmatullah S. das erste Gespräch?
Ich habe ihn gleich am Montag noch im Gefängnis besucht. Die ersten Minuten verliefen sehr gut. Er wollte sofort von mir verteidigt werden, weil er von mir im Gefängnis schon gehört hatte. Er meinte: "Ich passe zu ihm".
Welchen Eindruck hatten Sie von ihm? War Hikmatullah S. reuig, gefasst oder unsicher?
Er war sehr ruhig und gefasst. Wir haben über den ganzen Fall klar gesprochen, wie andere über ein Geschäft sprechen. Hikmatullah S. ist aus einem anderen Kulturkreis, da äußert sich die Reue über die Tat möglicherweise anders, als wir es in Europa gewohnt sind.
Das heißt: Bei anderen Mördern haben Sie schon mehr Reue gesehen als bei Hikmatullah S.?
Wahrscheinlich. Aber das ist natürlich eine Frage der subjektiven Wahrnehmung.
Hikmatullah S. behauptet, er hatte bei der Tat ein Blackout. Wenn man 27 Mal zusticht: Kann man noch von einem Blackout sprechen?
Der bekannte Profiler Thomas Müller nennt es das Übertöten des Opfers. Indem der Bruder 27 Mal zugestochen hat, kann man hier von einer hochemotionalen Tat ausgehen. Die Tat nennt man einen Overkill. Müller hat es in einem Gutachten einmal so dargelegt, dass der Täter sicher sein will, dass das Opfer tot ist. Das passiert nur, wenn es eine sehr enge emotionale Verbindung gibt.
Sieht er ein, dass er für den Mord seiner Schwester ins Gefängnis kommt?
Ja, das sieht er schon ein. Er hat verstanden, dass er kein Kavaliersdelikt begangen hat, was in Afghanistan eventuell anders gesehen wird. Er hofft aber, dass er nicht lange sitzen muss.
Wenn es einen Bruder gibt, der älter ist als Hikmatullah S., warum führte dann nicht dieser den Ehrenmord aus? Möglicherweise weil ein 18-Jähriger noch nicht so harte Strafen erwarten muss?
Das kann ich persönlich nicht sagen. Tatsache ist aber, dass die Strafdrohung für Hikmatullah S. mit maximal 20 Jahren begrenzt ist, da er als junger Erwachsener im Strafgesetz gilt. Lebenslang gibt es in diesem Alter noch nicht. Er ist sicher das Familienmitglied, das die geringste Strafe zu erwarten hat.
Warum haben Sie den Fall letztendlich abgegeben?
Weil er die Verteidigungslinie unserer Kanzlei nicht mittragen wollte. Mir war ein umfassendes reumutiges Geständnis wichtig. Dann hätte er einen der schwersten Milderungsgründe gehabt.
Der Täter hat ja schon ein Geständnis abgelegt. Was ist der Unterschied?
Das gibt schon Unterschiede: Ein Geständnis nur um den Milderungsgrund zu erwirken, ist zu wenig. Es muss schon reumütig sein. Ein reines Lippenbekenntnis reicht da nicht aus. Sein Geständnis war in Ordnung. Für mich war ganz wichtig, dass er über alles spricht. Es gab Ungereimtheiten. Dazu konnte und wollte er mir keine Antworten liefern. Als wir an diesem Punkt angelangt waren, habe ich die Zusammenarbeit abgebrochen.
War der Täter integriert?
Ich hatte den Eindruck, dass er sich mit den europäischen Werten auseinandergesetzt hat, aber noch nicht in unserer Welt angekommen war. Er hat sich auch hauptsächlich in der afghanischen Community bewegt.
Das Opfer hat die Integration offenbar geschafft. Warum schaffte sie es und die anderen in der Familie nicht?
Sie ging länger als ihr Bruder in die Schule. Wenn ich mir Hilfe hole, weil ich nicht mehr so weiterleben will, dann war sie sicher weiter in der Integration als ihr Bruder. Seine Entwicklung hat aber nicht einem 18-Jährigen entsprochen. Das habe ich ihm auch gesagt. Als Antwort gab er mir: "Schulisch habe ich da vollkommen recht."
Konnte der Täter lesen und schreiben?
Vielleicht in seiner Sprache. Aber Deutsch konnte er nicht schreiben und lesen. In Österreich war er maximal drei Jahre in der Schule und in seiner Heimat gar nicht.
In den Zeitungen wird kolportiert, dass die Mutter zwei Wochen nach dem Mord sagt, sie hätte ihre Tochter schon vergessen. Schockiert Sie das?
Wenn die Berichte stimmen, dann ist so eine Einstellung natürlich mehr als schockierend und für einen Europäer nicht einmal in den Ansätzen nachvollziehbar. Generell muss man sagen, dass es den "normalen" Mörder nicht mehr gibt. In den vergangenen Jahren hat die Brutalität der Taten zugenommen. Da viele Menschen in Österreich leben, die aus anderen Kulturen kommen, wo sie durch Kriege verroht wurden, gehen sie auch mit einer anderen Brutalität und Gewaltbereitschaft vor.
Das wird nicht der letzte Ehrenmord sein, der auf den Straßen Österreichs passieren wird?
Davon kann und muss man in Zukunft ausgehen.
