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Das war Merkels schwierigste Wahl

24-09-2017, 18:00

Das ist eine Zäsur für Deutschland: 72 Jahre nach dem 2. Weltkrieg zieht eine Partei in den Bundestag ein, deren Spitzenkandidaten eindeutig Nazi-Vokabular verwendet haben. Es gab Politiker wie Franz Josef Strauss, die mit Genuss am rechten Rand wilderten. Aber es gab nie Antisemitismus, Rassismus oder Nazi-Sprech wie "Schweine" oder "Marionetten der Siegermächte" – So hat die Spitzenkandidatin der AfD, Alice Weidel, Angela Merkel und die Bundesregierung bezeichnet. Es gäbe noch andere Belege, wie sehr die AfD bewusst den Grundkonsens der Bundesrepublik zerstört hat. "Pass auf, Deutschland!" hat die liberale Wochenzeitung Die Zeit geschrieben, eine Aufforderung, die verpufft ist.

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Eine Zäsur also für Deutschland, aber auch für die SPD. 2009 stürzte Frank-Walter Steinmeier, inzwischen Bundespräsident, auf 23 Prozent ab, jetzt werden es noch deutlich weniger. Martin Schulz hat den Sozialdemokraten nur kurz Hoffnung gegeben, seit Monaten aber wird er als Kanzlerkandidat nicht mehr ernst genommen. Juniorpartner in großen Koalitionen haben es schwer, die SPD litt aber auch darunter, dass sie nicht erklären konnte, wie sie für mehr Gerechtigkeit sorgen würde.

Das lag auch an Angela Merkel. Gerade in den letzten vier Jahren hat sie mühelos SPD-Forderungen übernommen, vom früheren Renteneintrittsalter bis zur Homo-Ehe. In der Flüchtlingspolitik war links von Merkel kein Platz, nach rechts wollte die SPD nicht. Dafür hat Merkel rechts genug Platz gelassen, den auch die Liberalen nicht einnehmen wollten.

Die FDP, die 2009 noch fast 15 Prozent erreichte und vier Jahre später aus dem Bundestag flog, hat seit der Niederlage im Jahr 2013 mit Christian Lindner einen durchaus herzeigbaren Vorsitzenden. Die Freidemokraten schielten nicht nach rechts, sondern besannen sich ihrer Tradition – liberal in Fragen des Rechtsstaats und der Wirtschaft – und sind damit in die deutsche Bundespolitik zurückgekehrt. Die Grünen, 2013 geschwächt, wären ein Partner für die sogenannte Jamaika-Koalition – die Nationalfarben schwarz,grün,gelb . Aber was wäre das für eine Regierung? Einig bestenfalls bei der anständigen Behandlung von Flüchtlingen, aber sofort zerstritten in allen Wirtschaftsfragen, von der Steuer bis zu Themen der Regulierung.

Nachfolgediskussion um Merkel

Die Linke ist ebenso wenig ein Regierungspartner von Angela Merkel wie die AfD. Also auf eine Neues – Union und SPD? Das wäre eine Koalition der Verlierer, die AfD wäre als drittstärkste Partei Anführer der Opposition. Auch wenn das von beiden als Zwangsehe empfunden werden würde, ist das vielleicht die einzige Möglichkeit einer künftigen Regierung.

Mit vielen Konsequenzen: Eine geschwächte SPD wird radikaler und unversöhnlicher auftreten – Streit in der Regierung ist vorprogrammiert. Und Frau Merkel wird ein bisschen einfallsreicher regieren müssen als bisher. Ihre fast zur Schau gestellte Passivität dürfte sie in den letzten Tagen noch einige Stimmen gekostet haben. Vor allem: Wenn sie nicht klarer und aktiver auftritt, wird die Nachfolgediskussion schneller beginnen, als ihr lieb ist.

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